Brexit:Abgeblitzt

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Premierministerin May will Großbritannien schon jetzt Vorteile für die Zeit nach dem Brexit sichern.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Sucht nach Verbündeten: Großbritanniens Premierministerin Theresa May beim Dinner in Brüssel. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker empfängt sie herzlich, aber beim Thema Brexit gibt es wenig Annäherung. (Foto: Virginia Mayo/dpa)

Die britische Premierministerin Theresa May ist mit ihrem Versuch gescheitert, die EU davon zu überzeugen, bereits jetzt über die Zeit nach dem Brexit zu sprechen. Vor dem Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag blieben die EU-Staaten bei ihrer Linie, dass die Regierung in London zunächst erklären müsse, welche finanziellen Verpflichtungen sie nach dem EU-Austritt übernehme. Erst dann ist die Europäische Union bereit, wie von Großbritannien gewünscht, über die Bedingungen einer Übergangsphase sowie ein Freihandelsabkommen zu verhandeln.

In den vergangenen Tagen versuchte May die Staats- und Regierungschefs vergeblich dafür zu gewinnen, ihrem Anliegen beim EU-Gipfel zu entsprechen. Auch ein Abendessen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montagabend brachte dabei keine Annäherung. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es lediglich, man habe die bislang erzielten Fortschritte im Austrittsverfahren Revue passieren lassen und sei sich einig, "dass diese Bemühungen in den kommenden Monaten beschleunigt werden sollten". Das Dinner in Brüssel sei "konstruktiv und freundlich" verlaufen.

Die meisten Mitgliedstaaten wollen härter als die Kommission mit London verhandeln

Auf die Frage, ob ihre Regierung plane, der EU ein neues Angebot zu unterbreiten, antwortete Mays Sprecher am Montag, dass sie ihre Position bereits in ihrer Rede in Florenz dargelegt habe. Bei ihrem Auftritt im September hatte May sich dazu bekannt, dass kein EU-Land wegen des Brexit mehr zahlen oder weniger bekommen soll. Das Vereinigte Königreich wolle die Verpflichtungen für eine zweijährige Übergangsphase nach dem Brexit übernehmen; das entspräche etwa 20 Milliarden Euro. Doch die Forderungen der EU liegen weitaus höher - insgesamt zwischen 60 und 100 Milliarden Euro.

Neben der Finanzfrage dringt die EU noch auf zwei weitere Themen: Die Rechte der Bürger in den jeweiligen Gebieten müssen geklärt werden, ebenso die politisch heikle Irland-Frage. Erst wenn die Staats- und Regierungschefs der EU "ausreichenden Fortschritt" in diesen drei Punkten sehen, darf EU-Chefunterhändler Michel Barnier laut Verhandlungsmandat mit London über das künftige Verhältnis sprechen. Barnier hatte den EU-Staaten zuletzt die potenziellen Vorteile erläutert, würde man bereits jetzt über die künftige Beziehung sprechen. So könnten sich etwa Verhandlungsspielräume ergeben, um die großen Differenzen bei der Brexit-Rechnung besser zu lösen, meinte der Chefunterhändler. Doch dieser Ansatz wurde, allen voran von Deutschland und Frankreich, strikt abgelehnt. Wie schon beim Ringen um das Verhandlungsmandat wird deutlich, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten einen härteren Kurs gegenüber London verfolgt als die EU-Kommission und ihr Verhandlungsführer Barnier.

So wurde auch der ursprüngliche Entwurf der Gipfel-Erklärung auf Drängen der EU-Staaten abgeschwächt und am Dienstag von den Europaministern gebilligt. Vorgesehen ist, dass die Staats- und Regierungschefs eine Neubewertung des Verhandlungserfolgs für Dezember ankündigen. Dann wollen sie darüber urteilen, ob "ausreichender Fortschritt" erzielt wurde. Betont wird noch einmal, dass dieser Fortschritt "in allen drei Bereichen" erreicht werden müsse. Die Briten sollen nicht glauben, dass sie sich mit Teilergebnissen in die nächste Runde schmuggeln können. Zwar erhält Barnier den Auftrag, das dafür nötige Verhandlungsmandat auszuloten.

Einen Automatismus gibt es aber, wie Diplomaten betonen, nicht. Während die britische Seite erklärt, man sei schon weit vorangekommen, sind aus Sicht der EU in allen drei großen Scheidungsfragen noch Fragen offen. Dazu gehören auch die Rechte der 3,2 Millionen Bürger aus anderen EU-Ländern im Vereinigten Königreich sowie den etwa 1,2 Millionen britischen Bürgern in der EU. Für sie soll sich möglichst wenig ändern. Man heiße den in diesem Bereich gemachten Fortschritt willkommen, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung. Verwiesen wird aber ausdrücklich auf die Rolle des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Die Europäer verlangen, dass der EuGH als letzte Instanz für EU-Bürger in Großbritannien auch nach dem Brexit in irgendeiner Form erhalten bleibt. Für die Briten ist das ein zentrales Problem.

Noch größer sind die Probleme, die sich daraus ergeben, dass die Grenze zwischen EU und Nicht-EU mitten durch Irland verlaufen wird. Die Briten lehnen eine Zollunion mit der EU ab, eine richtige Zollgrenze in Irland wollen sie aber auch nicht. London solle hier "flexible und fantasievolle Lösungen für die einzigartige Situation in Irland vorlegen", verlangt die 27er-EU.

Die Zeit drängt. Fast sieben Monate sind bereits vergangen, seit May den offiziellen Austrittsbrief in Brüssel eingereicht hat. Ende März 2019 wird Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU sein.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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