Brasilien:Palast oder Knast

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Luiz Inácio Lula da Silva, bis heute eine Galionsfigur der Linken in Lateinamerika, inszeniert sich als Opfer einer Hetzjagd der konservativen Eliten. (Foto: Patricia Monteiro/Bloomberg)

Ein Korruptionsprozess entscheidet darüber, ob Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Oktober wieder kandidieren kann. In Umfragen liegt er weit vorne.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Was wird Luiz Inácio Lula da Silva wohl machen, wenn das alles vorbei ist? Der Prozess also, der darüber entscheidet, ob er wieder Präsident von Brasilien werden kann oder ob er als erster Ex-Präsident dieses Landes ins Gefängnis muss. Palast oder Knast. Diesen Mittwoch soll die Entscheidung fallen, so hat es das Berufungsgericht in Porto Alegre angekündigt. Die Zeitung O Globo stimmt ihre Leser auf den "D-Day" ein. Lula aber tut so, als könne alles ganz normal weitergehen. Am Wochenende will er nach Äthiopien fliegen, um an einer Veranstaltung zum Thema "Hunger in Afrika" teilzunehmen.

Nahezu alle Experten prophezeien, dass in Porto Alegre das erstinstanzliche Urteil bestätigt wird: neuneinhalb Jahre Haft wegen Korruption. Unwahrscheinlich ist aber, dass Lula am Mittwoch sofort in Handschellen abgeführt wird. Seinem Afrika-Trip steht wohl nichts im Wege. Und da fragt sich manch einer: Kommt er überhaupt zurück, wenn es bei der Haftstrafe bleibt? Er wäre ja nicht der erste Politiker Lateinamerikas, der vor der Strafverfolgung flieht. Darauf gibt es zwei Antworten. Zum einen ist Lula nicht irgendwer, sondern der vielleicht bekannteste Brasilianer, der sein Geld nicht mit Fußball verdient. Er kann sich nicht einfach so verstecken. Zweitens wäre es nicht seine Art. Lula, 72, hat angekündigt, dass sein Präsidentschaftswahlkampf weitergeht. Egal, was die Richter am Mittwoch entscheiden.

Was er sagen wird, wenn sie ihn verurteilen, steht im Grunde auch schon fest: Dass er unschuldig ist, dass es keine Beweise gegen ihn gibt, dass es ein politischer Prozess war, um seine Rückkehr ins höchste Staatsamt zu verhindern. In allen Umfragen liegt er mit großem Vorsprung vorne.

Lula ist immer noch die Galionsfigur der Linken in Brasilien und Lateinamerika, der Held der Armen, der Mann des Volkes. Daran hat auch der Prozess nichts geändert. Seine Rolle als Opfer einer Hetzjagd der konservativen Eliten spielt er meisterlich. Zehntausende Lula-Fans sind nach Porto Alegre gepilgert, sie errichteten Mahnwachen vor dem Gericht. Die Behörden der südbrasilianischen Stadt beantragten Unterstützung von Bundestruppen. Es muss mit allem gerechnet werden: "Wenn sie Lula festnehmen wollen, müssen sie zuerst viele andere Leute festnehmen, und ich würde sogar sagen, sie müssen Leute töten, viele Leute töten." Dieser Satz stammt nicht aus einem Forum des schwarzen Blocks, sondern von Gleisi Hoffmann, der Vorsitzenden von Lulas Arbeiterpartei PT.

Eben weil die Situation so angespannt ist, um des sozialen Friedens willen, wird Lula wohl auch im Falle einer Verurteilung vorerst auf freiem Fuß bleiben. So lange, bis alle formalen Einspruchsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Das kann sich - die brasilianische Bürokratie lässt grüßen - eine Weile hinziehen. Unter Umständen sogar bis zum Wahltermin am 7. Oktober.

Die mutmaßlich Korrupten im Feld der Wahlkämpfer sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel

Die Ausgangslage im Wahljahr könnte kaum bizarrer sein: Mehr als ein Drittel der Brasilianer würde nach Lage der Dinge für jenen Kandidaten stimmen, den die Staatsanwälte der Task-Force "Operação Lava Jato" (Autowäsche) als "Mastermind" des größten brasilianischen Korruptionsschemas aller Zeiten bezeichneten. Das Ausmaß des Skandals um den halbstaatlichen Erdölriesen Petrobras ist aber auch Lulas Trumpf. Die Anführer nahezu aller Parteien sind betroffen. Der aktuelle Staatspräsident Michel Temer konnte nur deshalb nicht verurteilt werden, weil ihn die Immunität seines Amtes schützt. Die mutmaßlich Korrupten sind im Feld der Wahlkämpfer nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der Fall Lula sticht wegen seiner politischen Brisanz heraus. Im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten (2003 bis 2010) geht es um verhältnismäßig schwammige Vorwürfe. Der Lava-Jato-Richter Sérgio Moro, der Politiker und Unternehmer fließbandartig verurteilt, sah es in erster Instanz als erwiesen an, dass Lula sein Amt missbrauchte, um den Baukonzern OAS zu bevorteilen. Moros Beweisführung dreht sich um ein Apartment im Strandort Guarujá, das von OAS für Lula aufwendig renoviert worden sei. Im Gegenzug soll der dem Unternehmen lukrative Aufträge von Petrobras verschafft haben. Lula bestreitet, die Wohnung je besessen zu haben. Und Moro konnte bislang kein Dokument vorlegen, dass die Eigentümerschaft belegt. "Es gibt keinen direkten Beweis", sagt der Rechtsgelehrte Carlos Eduardo Scheid von der Universität Rio dos Sinos. Die Anklage sei ein Diskurs der Mutmaßungen. Trotzdem erwartet auch er, dass das Urteil im Wesentlichen bestehen bleibt. Das Gericht in Porto Alegre habe bisher in nahezu allen Fällen im Einklang mit Moro geurteilt.

Sollte Lula freigesprochen werden, stünde seinem Comeback wenig im Wege. Zumindest sein Einzug in die Stichwahl gälte als sicher, im linken Spektrum kann es niemand mit ihm aufnehmen. Sein härtester Rivale ist derzeit der rechtsextreme Jair Bolsonaro, dessen Aufstieg vor allem auf einer Hasskampagne gegen "den Müll namens Lula" basiert. Falls Lula mit der Bestätigung des Urteils sein passives Wahlrecht verlieren sollte, müsste sich auch Bolsonaro komplett neu erfinden. Insofern ist der Begriff vom "D-Day", vom Tag der Entscheidung, gar nicht so falsch. Brasilien stünde keine neun Monate vor der Wahl ohne einen halbwegs mehrheitsfähigen Präsidentschaftskandidaten da. Lula aber würde dann garantiert als politisch Verfolgter durchs Land touren - bis die Handschellen klicken.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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