Brasilien:Finale im Trauerspiel

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"Ich habe ein reines Gewissen", sagt Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Das gegen sie angestrebte Amtsenthebungsverfahren ist hoch umstritten. (Foto: Evaristo SA/AFP)

Brasiliens suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff lässt im Senat ein unwürdiges Kreuzverhör über sich ergehen - ihre politischen Tage sind offenbar gezählt.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Ein Großereignis jagt das nächste in Brasilien. Gut eine Woche nach der olympischen Schlussfeier von Rio hat nun in der Hauptstadt Brasília der Showdown in einem politischen Machtkampf begonnen, der sich seit Monaten hinzieht. Am Montagmorgen saß das halbe Land vor den Fernsehern, um den vielleicht letzten großen Auftritt der seit Mai vorübergehend suspendierten Staatspräsidentin Dilma Rousseff zu verfolgen. Sie war zum Kreuzverhör im Senat angetreten, der in den kommenden Tagen über ihre endgültige Absetzung zu entscheiden hat. "Ich habe ein reines Gewissen", das war einer der zentralen Sätze ihrer Verteidigung.

Dilma Vana Rousseff, 68, mag solche Auftritte nicht. Sie hatte lange gezögert, ob sie sich auf dieses öffentliche Verhör einlassen sollte. Ihre Berater konnten sie erst vor wenigen Tagen davon überzeugen, dass dies ein guter Moment sein würde, "um Geschichte zu schreiben". Aber der Lauf der Geschichte scheint bereits unaufhaltbar zu sein. Wenn nicht noch eine große Überraschung geschieht, dann wird der Senat Dilma Rousseff Mitte dieser Woche mit Zweidrittelmehrheit absetzen. Ihr langjähriger Stellvertreter und heutiger Gegenspieler, der Interimspräsident Michel Temer, 75, wartet bereits ungeduldig auf die offizielle Machtübernahme.

Die erste Frau im höchsten Staatsamt Brasiliens sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Das gegen sie angestrengte Amtsenthebungsverfahren bezeichnete sie als einen "Vorwand, um einen Putsch gegen die Verfassung zu rechtfertigen". Es war ein sehr persönlicher Vortrag einer Politikerin, der immer wieder vorgehalten wird, kalt und emotionslos zu sein. Sie erzählte von ihrer Todesangst als Folteropfer der Militärdiktatur in den Siebzigerjahren und von ihrem Kampf für Demokratie, Gleichheit und Bürgerrechte seit ihrer Amtsübernahme im Jahr 2011. Mit festem Blick und zitternder Stimme rief Rousseff den Senatoren zu: "Heute fürchte ich nur noch den Tod der Demokratie."

Seit Tagen wird dieser politische Gerichtsprozess live im Fernsehen übertragen. Zu bestaunen gibt es vor allem die ganze Skurrilität der brasilianischen Bürokratie. Ein Festival aus Dekreten, Statistiken und Paragrafen. Alle Argumente sind hundertmal ausgetauscht. Im Gegensatz zu diesem Verfahren ist selbst der Einmarsch der Nationen bei Olympia ein kurzweiliger Schlagabtausch. Auch Rousseff weiß natürlich, dass es sich bei diesem letzten Akt vor allem um Polit-Theater handelt. Die meisten der 81 Senatoren haben ihre Entscheidung längst getroffen - und das auch öffentlich kundgetan. Gegner und Unterstützer der Präsidentin beschimpften sich vor laufenden Kameras zuletzt als "Sklavenhalter", "Kokser" und "Rentnerbetrüger".

"Ich werde für Verbrechen gerichtet, die ich nicht begangen habe", findet Rousseff

Gemessen daran war Rousseffs Rede am Montag regelrecht sachlich. Ihren designierten Nachfolger Temer bezeichnete sie indirekt als "Verräter" und "Feigling". Ansonsten verzichtete sie auf Provokationen. Im Detail verteidigte sie sich gegen die juristischen Vorwürfe im Impeachment-Antrag. Es geht dabei entgegen eines weit verbreiteten Irrtums nicht um Korruption, sondern um Bilanztricks beim Staatshaushalt. Die Regierung Rousseff soll unter anderem die Auszahlung von Sozialprogrammen über staatliche Banken bewusst verzögert haben, um das Defizit zu verringern. Ein Praktik, welche die Präsidentin nicht leugnete, sie verwies aber darauf, dass sie unter ihren Vorgängerregierungen ebenfalls gang und gäbe waren. "Ich werde für Verbrechen gerichtet, die ich nicht begangen habe", findet Rousseff.

Ihre Ankläger sprechen von sogenannten Verbrechen gegen die Verantwortung als Präsidentin. Ob es sich dabei um ein kapitales Verbrechen handelt, das ein Impeachment rechtfertigen würde, ist juristisch hoch umstritten. Nicht wenige Experten verweisen auch darauf, dass Michel Temer als langjähriger Vizepräsident dann zumindest mitverantwortlich wäre.

Auch dieser historische Moment in der jungen brasilianischen Demokratie steht im Zeichen des tagesaktuellen Streites. Die Abstimmung über Rousseff war zunächst für die erste Septemberwoche angesetzt. Temer beschwerte sich aber vehement über diesen Termin. Er möchte bereits an diesem Mittwoch zum G-20-Gipfel nach China reisen - als offizielles Staatsoberhaupt. Nach einem Abendessen mit dem Senatspräsidenten und Parteifreund Renan Calheiros wurde der Zeitplan tatsächlich verkürzt. Calheiros soll beim selben Essen eine Einladung für die Chinareise erhalten haben. Der unwürdige Kampf um ein paar Stunden bestimmt nun also das Finale dieses Trauerspiels: Während Oppositionelle auf Redebeiträge verzichteten, um das Verfahren zu beschleunigen, versucht Rousseffs Arbeiterpartei alles, um den Prozess noch ein wenig in die Länge zu ziehen.

Auch ihr Vorgänger und Mentor Luis Inácio Lula da Silva war nach Brasília gereist - mit dem Ziel, ein paar Senatoren umzustimmen. Lula gilt als Meister darin. Allerdings ist sein Ruf durch Korruptionsermittlungen angekratzt. Umfragen zufolge würden ihn die Brasilianer trotzdem wieder zum Präsidenten machen. Lula spekuliert weiterhin auf eine glorreiche Rückkehr im Jahr 2018. Temer hat bereits angekündigt, dass er dann nicht mehr antreten wird. Nach Lage der Dinge wäre er auch chancenlos. Er ist im Volk so unbeliebt wie die Frau, die er ablösen will.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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