Böhmermann:Ärger von allen Seiten

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Es war ein Thema, bei dem für Merkel nichts zu gewinnen war. Bis zuletzt hat die Koalition im Fall Böhmermann um eine Entscheidung gerungen. Jetzt distanziert sich die SPD.

Von Nico Fried

Es sind rund 30 Schritte vom Fahrstuhl zum Rednerpult. Die Kanzlerin geht zügig, aber nicht schnell. Kein Grund also, aus der Puste zu geraten. Dann ist es wohl doch die Aufregung, die Angela Merkel am Freitag kurz nach 13 Uhr ein wenig kurzatmig erscheinen lässt, als sie im Bundeskanzleramt ihr Statement verliest. Sie ahnt, dass ihr die Entscheidung im Fall des ZDF-Moderators Jan Böhmermann und seines sogenannten Schmähgedichtes über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bald eine Menge Ärger bereiten wird. Und vor allem weiß sie, wie viel Ärger in dieser Sache schon hinter ihr liegt.

Es war ein zähes Ringen, das zu dieser Entscheidung geführt hat, auch bei Merkel selbst, die politisch nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hatte - und das nicht zuletzt aus eigenem Verschulden. Noch dazu entwickelte sich die fast einwöchige Diskussion um eine angemessene Antwort auf das türkische Ersuchen nach einer Strafverfolgung Böhmermanns zu einem veritablen Koalitionskonflikt. Er währte, wie ein Mitglied der Bundesregierung kurz nach Merkels Statement berichten wird, "bis vor wenigen Minuten".

Nur Minuten nach dem Statement bricht der Sturm los

Während ihres Auftritts spricht Merkel die Sache lieber gleich von sich aus an: "Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD." Im nächsten Satz freilich sagt sie, dass im Ergebnis "die Bundesregierung" die Strafverfolgungsbehörden ermächtige, gegen Böhmermann wegen Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch zu ermitteln. Die Bundesregierung - gehört der nicht auch die SPD an? Handelt es sich um eine Kollektiventscheidung? Oder um einen Alleingang Merkels?

Nur Minuten nach dem Statement der Kanzlerin bricht der Sturm los. Eher erwartbar die Reaktionen der Opposition: Als "Blamage" und "Kriechen vor Erdoğan" wegen der Flüchtlingspolitik bezeichnet die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt auf dem Nachrichtendienst Twitter die Entscheidung. Ihre Kollegin von der Linken, Sahra Wagenknecht, sieht in der Ermächtigung einen "unerträglichen Kotau". Die Kanzlerin kusche vor dem "Despoten Erdoğan und opfert die Pressefreiheit in Deutschland".

Auffallend ist allerdings: Auch aus der SPD hagelt es sofort Kritik. Und das nicht von Hinterbänklern. Fraktionschef Thomas Oppermann höchstselbst erklärt: "Ich halte die Entscheidung für falsch." Fraktionsvize Sören Bartol schimpft: "Falsche Entscheidung" und macht die Kanzlerin allein verantwortlich: "Sie hat es jetzt so durchgedrückt." Sein Kollege Karl Lauterbach findet: "Das ist ein klarer Fehler. Erdoğan führt uns vor." Uns? Also auch Vizekanzler Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas, die alle der SPD und der Bundesregierung angehören und an den Gesprächen beteiligt waren?

Rückblick: Am vergangenen Samstag geht die Verbalnote der türkischen Botschaft im Auswärtigen Amt ein, die juristische Prüfung der Zulässigkeit eines Verfahrens ist schon am Montag auf Ebene der Staatssekretäre und Rechtsexperten weitgehend erledigt, der Rest ist eine politische Entscheidung. Am Dienstag hat die Kanzlerin die Tendenz, für die Ermächtigung zu stimmen, im Innenministerium von Thomas de Maizière (CDU) kommt man zu einem ähnlichen Urteil. Zugleich schwillt in der SPD der Widerstand an, auch wenn sich die Spitze öffentlich noch zurückhält.

Die Sozialdemokraten in der Regierung sind verärgert wegen der nach einem Telefonat der Kanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten verbreiteten Erklärung des Regierungssprechers vom 4. April. Darin hieß es, Merkel und Ahmet Davutoğlu hätten darin übereingestimmt, dass es sich bei Böhmermanns Schmähgedicht "um einen bewusst verletzenden Text handele". Diese Erklärung war politisch ein schwerer Fehler, wie mittlerweile auch Merkel weiß. Sie wollte mit dem Wort "bewusst" eigentlich auf den Charakter der Satire verweisen. Doch in der Öffentlichkeit entstand weithin der Eindruck, die Bundesregierung mache sich die Empörung der türkischen Regierung zu eigen und verteidige aus Rücksicht auf ihre Flüchtlingspolitik die Grundrechte auf Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit nicht entschieden genug. Dafür will die SPD nicht in Mithaftung genommen werden.

Am Mittwoch, am Rande des Kabinetts, spricht Merkel erstmals mit SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Fall, am Abend während des Koalitionsausschusses zudem mit CSU-Chef Horst Seehofer. Die Gefechtslage ist klar, die Union ist für Ermächtigung, die SPD dagegen. Die Sozialdemokraten bieten noch den Ausweg an, die Abschaffung des Paragrafen 103 in die Wege zu leiten und sich daraus gleich die Begründung zu holen, das letzte Verfahren gar nicht mehr führen zu müssen. Erdoğan selbst hat ihnen dafür am Dienstag ein Argument geliefert, als er eine persönlichen Beleidigungsklage ankündigte, deretwegen der Fall sowieso vor Gericht landen würde. Doch diesen Weg lehnt Merkel ab.

Formal betrachtet hat die Kanzlerin die SPD nicht überstimmt

Kanzleramt und Innenministerium sind für die Ermächtigung, Außen- und Justizministerium dagegen. Die Entscheidung fällt schließlich nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung. In Paragraf 24, Absatz 2, heißt es: "Die Bundesregierung fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden." Der Paragraf gilt eigentlich für das Kabinett als Ganzes, ist aber bei Entscheidungen, in denen einzelne, in der Sache zuständige Ressorts für die Regierung insgesamt abstimmen, analog anzuwenden. Die Vorsitzende der Regierung, Angela Merkel, stimmt schließlich für ihre Position. Politisch hat das für Merkel sogar einen angenehmen Aspekt: Formal kann man ihr nicht vorhalten, sie habe ihren Koalitionspartner einfach übergangen, zumal es sich auch nicht um eine Entscheidung aufgrund ihrer Richtlinienkompetenz gehandelt hat. Dann ist da noch die Sache selbst. Der Vorhalt, sie unterwerfe sich Erdoğans juristischen Vorstellungen, ist für Merkel absehbar. In ihrem Statement bemüht sich die Kanzlerin deshalb darum, den Spieß umzudrehen und das nun absehbare Strafverfahren zu einer Art Werbeveranstaltung für europäische Werte zu interpretieren: Ihre Entscheidung soll die Stärke des Rechtsstaates hervorheben, gerade gegenüber einem Land wie der Türkei, von dessen Regierung man Demokratie, Gewaltenteilung und Pluralismus einfordere. Im Rechtsstaat sei die Justiz unabhängig, sagt Merkel. Deshalb, und das ist ihr entscheidender Punkt, sei es gerade nicht Sache der Regierung, das Persönlichkeitsrecht gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. Das letzte Wort hätten vielmehr die Gerichte, so Merkel. Undiplomatisch gesagt: Die Kanzlerin setzt darauf, dass Erdoğan eine Lektion in Rechtsstaatlichkeit erteilt werden möge. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas von der SPD sehen das anders, wie sie zwei Stunden nach dem Statement der Kanzlerin mitteilen: "Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 104a StGB nicht hätte erteilt werden sollen", heißt es in ihrer Erklärung. Die Begründung freilich liest sich so, als hätten die beiden dafür gestimmt, viele Argumente könnten auch von Merkel stammen. So heißt es: "Im Spannungsfeld zwischen öffentlich in Medien geäußerter Satire und dem Schutz der Ehre einzelner Personen ist in besonderem Maße die Zurückhaltung der Bundesregierung geboten." Und: "Wir sind uns darüber einig, dass darüber, wo die Grenze zwischen Kunst und strafbarer Beleidigung verläuft, nicht die Regierung zu entscheiden hat, sondern die unabhängige Justiz." Als Erklärung dafür, dass die beiden SPD-Minister trotzdem gegen eine Ermächtigung gestimmt haben, taugt allenfalls das Argument, dass wegen Erdoğans persönlichem Strafantrag eine gerichtliche Prüfung "ohnehin erfolgen" werde. So bleibt der Eindruck, dass die Differenzen der SPD zur Kanzlerin in Wahrheit nicht so groß waren wie das Bedürfnis, sich endlich einmal von ihr abzusetzen.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)
© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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