BND-Affäre:Verflixtes Verfahren

Lesezeit: 3 min

Wer bekommt Einsicht in die Selektorenliste von BND und NSA? Möglichkeiten gibt es mehrere - umstritten sind sie alle.

Von Heribert Prantl, München

Im Streit über die sogenannte Selektorenliste sucht die große Koalition nach dem Ei des Kolumbus. Dürfen, sollen, müssen die Listen mit Stichwörtern, nach denen der BND im Auftrag des US-Geheimdienstes NSA den europäischen Kommunikationsverkehr ausspioniert hat, herausgegeben werden - und wenn ja, an wen? Die Oppositionsparteien beharren darauf, dass die Listen von der Bundesregierung dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem NSA-Untersuchungsausschuss übergeben werden. Solche Forderungen gibt es auch in der SPD. Die Union weigert sich strikt, weil sie fürchtet, dass die Stichwortlisten dann nicht vertraulich bleiben, sondern alsbald in die Öffentlichkeit geraten. Es wird deshalb darüber diskutiert, ob es Möglichkeiten einer Übergabe der Listen gibt, die noch vertraulicher sind als die Übergabe an einen vertraulichen Parlamentsausschuss.

Der Ermittlungsbeauftragte

Das PUAG, das Gesetz über den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, hat in Paragraf 10 diese Figur erschaffen. Ein Ermittlungsbeauftragter ist so eine Art Staatsanwalt des Ausschusses. Dieser ernennt ihn in einem recht komplizierten Verfahren. Nicht nur ein Abgeordneter des Bundestags, auch eine parlamentsfremde Person kann Ermittlungsbeauftragter werden. Von Verfassungsjuristen wird das aber kritisch gesehen, da sich die Mitglieder des Untersuchungsausschusses damit in bedenklicher Form "ureigenster parlamentarischer Befugnisse begeben" würden. Diese Bedenken würden sich nun noch verschärfen, wenn ausgerechnet ein Nicht-Parlamentarier die Listen zu sehen bekäme, die die Parlamentarier nicht sehen dürfen. Im Übrigen soll der Ermittlungsbeauftragte eine Institution sein, die Untersuchungen des Ausschusses vorbereitet und unterstützt, nicht aber diese Untersuchungen bei sich exklusiviert.

Das Vorsitzenden-Verfahren

Wenn der Untersuchungsausschuss Vertraulichkeit garantiert, die Bundesregierung dem Ausschuss aber gleichwohl nicht traut - so muss sie den Ausschuss in besonderer Form über die Notwendigkeit der Geheimhaltung unterrichten. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht einen speziellen Weg konstruiert: das Vorsitzenden-Verfahren. Es wird hier nur dem Ausschussvorsitzenden und seinem Stellvertreter Einsicht in die geheimen Akten gewährt, nicht aber den übrigen Mitgliedern des Gremiums. Die Vorsitzenden sollen sich auf diese Weise davon überzeugen können, dass die Verweigerung der Akten gute Gründe hat. Daneben gibt es noch das sogenannte modifizierte Vorsitzenden-Verfahren, bei dem eine neutrale Person hinzutritt. Juristische Kritiker des Vorsitzenden-Verfahrens monieren, dass es die formale Gleichstellung aller Parlamentsmitglieder verletze. Der Vorsitzende und sein Vize hätten nur die Stellung eines primus inter pares, das Untersuchungsrecht stünde dem Ausschuss als Ganzes zu.

Das Treptow-Verfahren

Alle Mitglieder des Ausschusses können die geheimen Akten einsehen, aber nur in den Räumen des BND im Berliner Bezirk Treptow. Das würde zeigen, dass der Geheimdienst dem Kontrolleur misstraut, dem er untersteht - und dass sich der Untersuchungsausschuss auf dieses Misstrauen einlässt.

Der Sonderermittler

Das ist ein unspezifischer Begriff, der oft gebraucht wird, aber nirgendwo definiert ist. Ein Sonderermittler wird üblicherweise von der Exekutive bestellt. Zuletzt hat etwa der pensionierte Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft im Auftrag des dortigen Innensenators als "unabhängiger Sonderermittler" einen Untersuchungsbericht über Defizite bei einem Anti-Terror-Einsatz geschrieben. Die rot-grüne Bundesregierung von Kanzler Schröder setzte zur Aufklärung der Affäre um die zur Regierungszeit von Helmut Kohl verschwundenen Leuna-Akten den früheren Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch (FDP) als Sonderermittler ein. Dieser kam in seinem Bericht zum Ergebnis, dass im Kanzleramt vor der Übergabe von Kohl an Schröder offenbar in erheblichem Umfang sensible Akten vernichtet worden waren. Ein von der Regierung eingesetzter Sonderermittler wird die Parlamentarier, die in der Selektoren-Affäre ihre Rechte gewahrt wissen wollen, gewiss nicht zufriedenstellen.

Der Sachverständige

Im Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium/PKG (es kontrolliert als Parlamentsausschuss im Auftrag des Bundestags die Geheimdienste) ist vorgesehen, dass im Einzelfall ein Sachverständiger nach Anhörung der Bundesregierung Untersuchungen durchführen kann - so ähnlich wie der Ermittlungsbeauftragte nach dem Gesetz über Untersuchungsausschüsse. Das Kontrollgremium hat bei seinen Recherchen über die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Skandal den grünen Rechtspolitiker Jerzy Montag, Bundestagsabgeordneter von 2002 bis 2013, zum Sachverständigen bestellt. Nur einem solchen Sachverständigen des PKG die Selektoren-Liste zu übergeben, wäre aber ebenso problematisch wie die Übergabe nur an den Ermittlungsführer eines Untersuchungsausschusses (siehe oben).

Der Geheimdienstbeauftragte

Eine solche Institution gibt es noch nicht. Sie müsste erst durch Gesetz geschaffen werden. Hansjörg Geiger, früherer Chef des Bundesverfassungsschutzes und Präsident des BND, später Staatssekretär im Bundesjustizministerium, hat vorgeschlagen, einen Geheimdienstbeauftragten nach dem Muster des Wehrbeauftragten zu konstruieren. Die neue Behörde soll dann die Geheimdienstkontrolle-Gremien unterstützen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf gab es 2009 von der FDP. Auf die Schnelle, für den laufenden NSA/BND-Skandal kann so ein Beauftragter jedoch nicht geschaffen werden.

Summa summarum: Wenn die Bundesregierung die geheimen Listen nicht an den gesamten Kontrollausschuss herausgibt und die Ausschüsse sich nicht mit dem "Vorsitzenden-Verfahren" zufriedengeben, gibt es keine andere halbwegs vernünftige Lösung; es bleibt den damit unzufriedenen Parlamentariern nur der Gang zum Bundesverfassungsgericht. Das Karlsruher Gericht ist in solchen Fragen sehr parlamentsfreundlich. Es judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass die Sorge um das Staatswohl nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem Parlament und seinen Ausschüssen anvertraut ist.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: