Blair: Befragung zum Irak-Krieg:Blut, Schweiß und Lügen

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Tony Blair in Bedrängnis: Die Eltern gefallener Soldaten wollen ihn leiden sehen. Doch der britische Ex-Premier lässt alle Vorwürfe vor dem Irak-Untersuchungsausschuss von sich abperlen.

Wolfgang Koydl, London

Die Geschichte ist nie wählerisch in der Auswahl ihrer Schauplätze, aber einen banaleren Ort als Raum 2/17 im Queen Elizabeth Conference Centre hätte man kaum finden können für ein Ereignis von historischer Tragweite.

Es braucht lange, bis Tony Blair bei der Befragung seine Nervosität ablegt. So souverän wie gewohnt wird er dennoch nicht. (Foto: Foto: Reuters)

Es gibt Wohnzimmer, die sind größer als dieser fensterlose, stickige Verhandlungsraum, und es gibt Verhörzellen, die in freundlicheren Tönen gehalten sind als in diesem niederdrückenden Graublau. Unverputzt hängt das Rohrgeflecht der Klimaanlage unter der Decke. Die beiden Fremdenverkehrsschnappschüsse der Londoner Skyline an den Wänden vertiefen eher die Depression, als die Stimmung zu verbessern.

Der Mann, der an den beiden zusammengeschobenen Schulpulten Platz nimmt, hat den Mantel der Geschichte schon immer gespürt. Und historisch ist das Ereignis an diesem Freitag allemal: Tony Blair, einer der erfolgreichsten Premierminister der britischen Geschichte, ist hierher gekommen, um Rechenschaft abzulegen für einen Krieg, der nach Überzeugung vieler Landsleute ungerechtfertigt und unrecht war und für den er maßgeblich Verantwortung trägt.

Seit November tagt die nach ihrem Vorsitzenden benannte "Chilcot Inquiry" in diesem schmucklosen Konferenzzimmer. Ihre Aufgabe, wie sie der pensionierte Regierungsbeamte Sir John Chilcot formuliert, ist es, eine "glaubwürdige Zusammenfassung" all jener Maßnahmen, Entscheidungen und Schritte im Zusammenhang mit der angloamerikanischen Intervention im Irak zu erstellen - von den ersten Plänen und Absprachen 2001 bis zum Abzug des letzten britischen Soldaten im vergangenen Frühjahr. Ein Tribunal, so Chilcot, sei sie nicht.

Keiner im Raum ist so fit wie Blair

150 Sitzungsstunden hat die Kommission schon hinter sich. Blair ist Zeuge Nummer 69, und er hat sich den ganzen Tag freinehmen müssen für die Fragen der fünf Ausschussmitglieder. Niemand im Raum ist so braungebrannt und fit wie er, und kein anderer trägt einen ebenso teuren Anzug: Nüchtern dunkelblau mit weißem Hemd und roter Krawatte. Aufrecht sitzt er da, als wolle er seine Unbeugsamkeit ausdrücken. Es dauert jedoch eine ganze Weile, bevor er seine Nervosität ablegt und nicht mehr fahrig an der Lesebrille nestelt und in seinem Leitzordner blättert, den er mitgebracht hat.

Zu der gewohnten souveränen Selbstsicherheit findet er nie, geschweige denn zu einer großen historischen Geste. Er tritt nicht demütig auf wie sein ehemaliger Außenminister Jack Straw, der es damals Blair und jetzt dem Komitee recht machen will. Aber er stellt auch nicht jene trotzige Arroganz zur Schau, mit welcher sein ehemaliger Spin-Doktor Alastair Campbell der Kommission und der britischen Öffentlichkeit den Atem stocken ließ. Blair ist zurückhaltend, ja fast ein wenig befangen.

Das mag an der Atmosphäre im Raum liegen. Nur 60 Zuschauern bietet er Platz, ein Hohn, wenn man bedenkt, wie sehr der Krieg die Nation gespalten, aufgewühlt und erschüttert hat. Von diesen Plätzen sind 20 reserviert für Soldatenfamilien, die einen Sohn, einen Bruder oder einen Ehemann verloren haben. Die wenigen Plätze mussten in einer Lotterie vergeben werden, der Andrang war so groß gewesen wie für ein Rockkonzert.

Feindseligkeit strömt wie giftiges Gas

Die Regeln verlangen, dass sich die Zuschauer jeder Gefühlsregung enthalten. Zwischenrufe, so steht es auf dem Zettel, den jeder beim Betreten ausgehändigt bekommt, werden mit sofortiger Entfernung aus dem Raum geahndet. Doch die Atmosphäre lässt sich nicht so einfach entfernen. Latente Feindseligkeit strömt das Publikum aus, und sie verbreitet sich wie ein giftiges Gas, das nicht nur Blair zu lähmen scheint, sondern auch seine Inquisitoren.

Blair kann zwar die Zuschauer nicht sehen, die hinter ihm sitzen; aber er wird es spüren, wie sich ihre Blicke in seinen Rücken bohren. Einer von ihnen ist Peter Brierley. Sein Sohn ist bei Basra gefallen, und er ist zu gewisser Berühmtheit gelangt, weil er sich einmal öffentlich weigerte, Blair die Hand zu schütteln. Brierley zieht bittere Befriedigung aus der Tatsache, dass er nun mit dem Premier im selben Raum sitzt.

"Ich will ihm ins Gesicht sehen, und ich will sehen, wie sich Schweißtropfen auf seiner Nase bilden", sagt er vor Beginn der Anhörung.

Diesen Gefallen freilich tut ihm Blair nicht. Nervös mag er sein, ein wenig unsicher sogar. Aber der Angstschweiß bricht ihm noch lange nicht aus, denn es ist nicht so, dass ihn der Ausschuss in die Enge treiben würde. Wirklich scharf werden die Fragen nie, und dies, obwohl Chilcot und seinen Mitstreitern inzwischen viele Aussagen vorliegen, die Blair eigentlich schwer belasten könnten.

Maxine Gentle, die Schwester eines im Irak getöteten Soldaten, spricht zu Demonstranten, während Tony Blair befragt wird. (Foto: Foto: AFP)

Mit Präsident George W. Bush habe er "einen Pakt in Blut" unterzeichnet, hatte Londons damaliger Botschafter in Washington, Sir Christopher Meyer, ausgesagt. Blanker Unsinn, gibt Blair zurück. Das Außenministerium habe den bevorstehenden Konflikt als völkerrechtlich illegal eingeschätzt und den Regierungschef entsprechend unterrichtet, hatten Rechtsexperten des Außenamts ausgesagt. Natürlich sei er sich der rechtlichen Problematik immer bewusst gewesen, schneidet Blair dem Fragesteller das Wort ab. Dafür habe schon Peter - der Kronanwalt Lord Goldsmith und damit der oberste Rechtsberater der Regierung- ständig gesorgt, fügt er mit einem schiefen Grinsen hinzu.

Abdriften in Details

Blair lässt alles an sich abperlen. Bei der Problematik handele es sich um ein weites Feld, betont er ein ums andere Mal, bevor er sich einerseits in den groben Umrissen des Nahostkonflikts und andererseits in verwirrenden Details verliert. Und die Kommission ist offenbar nur allzu gerne bereit, ihm sowohl auf das weite Feld als auch in die undurchschaubaren Kleinigkeiten zu folgen.

Die einfachen Fragen stellen die Demonstranten draußen im Nieselregen. Log Blair, als er das Land in den Krieg führte? Fälschte er Geheimdiensterkenntnisse? Waren die Massenvernichtungswaffen des Diktators Saddam Hussein nur ein Vorwand? Wollte der Premierminister in Wirklichkeit einen Regimewechsel um jeden Preis? Folgte er daher blind und gehorsam dem Mann im Weißen Haus? Und war der Krieg überhaupt rechtens? Oder hat sich Blair eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht, für das er vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt gehört, wie es die Website arrestblair.org fordert, die bereits ein Kopfgeld von 9432 Pfund für eine sogenannte Jedermann-Festnahme, eine Verhaftung durch einen Bürger, ausgelobt hat?

Vor sieben Jahren, als das Unterhaus den Krieg beschloss, waren Zehntausende aus Protest auf die Straße gegangen und hatten den Trafalgar Square bis an die Ränder gefüllt. Doch heute finden sich nur wenige hundert Menschen mit Transparenten und Plakaten im Schatten der Westminster-Abtei ein. Einige haben sich Blair-Masken übergestülpt und die Hände rot gefärbt, als ob sie von Blut triefen würden. Andere tragen Plakate, auf denen jenes Wort steht, das Blair in den Ohren gellen sollte: Bliar - Blair, the liar. Blair, der Lügner.

Tony Blair sah nichts von den Demonstranten. Er war früher aufgestanden als sie: Um sieben Uhr morgens, zweieinhalb Stunden vor Beginn der Befragung, hatte er sein Haus im Norden Londons in einem schweren BMW verlassen und war wenig später in der Tiefgarage des Konferenzzentrums verschwunden.

Zu klug, zu glatt

Viel Schlaf hatte der Politiker in den Tagen vor seinem Auftritt nicht bekommen. Aus Kreisen von Vertrauten verlautete, dass er seine gut dotierten Nebentätigkeiten ruhen ließ, um sich auf den Ausschuss vorzubereiten. Bis morgens früh um drei, so wollte eine Zeitung wissen, habe das Licht in seinem Arbeitszimmer im Haus am Connaught Square gebrannt, wo Blair Akten studiert habe.

Als Kriegsverbrecher wurde Tony Blair nicht demaskiert. Dazu agierte er zu klug, manche würden sagen zu glatt. Zuversicht hätte er aus der Adresse des Queen Elizabeth Conference Centre schöpfen können: Little Sanctuary, die kleine Freistatt. Nach mittelalterlichem Recht genossen Kriminelle hier Schutz vor dem Zugriff der Staatsgewalt.

© SZ vom 30.01.2010/sukl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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