Belgien:Weltuntergang und Mohnblüten-Regen

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In Ypern gedenken Briten und Deutsche gemeinsam der mörderischen, sinnlosen Schlachten, die sie im Ersten Weltkrieg in Flandern gegeneinander führten.

Von Thomas Kirchner, Zonnebeke

Das Wetter in Westflandern: sonnig und trocken. Auch in den vergangenen Tagen hat es kaum geregnet in Belgien. Im Sommer 1917 war das anders, wochenlang brachen die Wolken, es hörte nicht auf. Bei der dritten Flandernschlacht spielte das eine wesentliche Rolle. Denn in den aufgeweichten Feldern nordöstlich von Ypern blieb die britische Offensive gegen den deutschen Feind, der sich auf der anderen Seite eingegraben hatte, recht bald stecken. Eine Angriffswelle nach der anderen versank im Morast, und dafür vor allem ist diese fürchterliche Schlacht, die 500 000 Soldaten das Leben kostete, bekannt - "für den Schlamm", wie es Prinz Charles am Montag ausdrückt, "der die Lebenden beschwerte und die Toten verschluckte".

"I died in hell (They called it Passchendaele)" - jedes britische Schulkind kennt diese Zeile

Der britische Thronfolger ist nach Flandern gekommen, um dieser Toten zu gedenken, zusammen mit seinem Sohn William, Prinzessin Kate, Premierministerin Theresa May und 4000 Landsleuten. Namen werden vorgelesen, Erinnerungen zitiert, Kränze gelegt. Militärkapellen spielen traurige Musik von Edward Elgar, ein schottischer Jugendchor singt eine Vertonung von "In Flanders fields", dem berühmten Gedicht von John McCrae, das von den Poppies erzählt, den Mohnblumen, die auf und neben den belgischen Schlachtfeldern blühten. Ein kleiner Bub kippt um in der Mittagshitze.

Es ist ein aufwendiges Zeremoniell, das die Briten betreiben. Schon Sonntagabend beginnt es auf dem Großen Platz von Ypern, mit Projektionen, die die wiederaufgebauten gotischen Tuchhallen beleuchten, Theatervorführungen und Lesungen, unter anderem mit der Schauspielerin Helen Mirren, mit Zehntausenden Poppies, die vom Menentor regnen, der wichtigsten Gedenkstätte Yperns. Von der BBC ebenso live übertragen wie die Feier am Montagmittag auf dem Tyne cot cemetery, dem größten Soldatenfriedhof des Commonwealth. Er steht an einem leicht erhöhten Ort außerhalb von Zonnebeke, den die Deutschen bis zum Schluss besonders erbittert verteidigten. Etwa 12 000 Soldaten, überwiegend Briten, Neuseeländer, Australier, liegen hier begraben. Nur ihre Leichen wurden gefunden, an weitere 34 000 Männer erinnern die eingravierten Namen an der Kopfseite von Tyne Cot.

HANDOUT - Britische Soldaten des East Yorkshire Regiment marschieren 1915 im Gegenlicht zur Front am Frenzenberg bei Ypern, Belgien. Foto: Ernest Brooks/National Library of Scotland/dpa (zu dpa Themenpaket Erster Weltkrieg vom 31.03.2014 - ACHTUNG: Verwendung nur zu redaktionellen Zwecken bei vollständiger Quellenangabe 'Ernest Brooks/National Library of Scotland/dpa') +++(c) dpa - Bildfunk+++ (Foto: Ernest Brooks/dpa)

Die dritte Flandernschlacht, die bis zum 10. November andauerte, besteht eigentlich aus einer Abfolge von acht Schlachten. Gekämpft wurde bei Pilkem, Langemarck, Menen, Poelcapelle, im Polygon-Wald. Ins kollektive britische Bewusstsein eingegraben hat sie sich aber als "Schlacht von Passchendaele", nach dem Dorfteil von Zonnebeke, den die Briten in den letzten Tagen eroberten. Es gelang ihnen, die Frontlinie um acht Kilometer zu ihren Gunsten zu verschieben - ein Wahnsinn angesichts der Toten, zumal die deutsche Armee den Gebietsverlust bald wieder gutmachte.

Warum Ypern? Die Deutschen hatten die Franzosen zunächst, getreu dem Schlieffen-Plan, in einer Zangenbewegung vernichten wollen. Dafür zogen sie brandschatzend durch das neutrale Belgien, doch in Flandern kamen sie Ende 1914 nicht weiter. Und dabei bleibt es, bis sich der britische Oberkommandierende Douglas Haig 1917 einredet, die Deutschen seien inzwischen so schwach, dass man wieder eine Offensive wagen könnte. Sein Ziel ist, bis zur belgischen Küste durchzubrechen. Denn von Ostende und Zeebrugge aus starteten die deutschen U-Boote, die von Februar 1917 an eine tödliche Gefahr für britische Schiffe darstellten. Sein Premier David Lloyd George ist äußerst skeptisch, billigte die Pläne aber mangels Alternative. Weil die Briten in den Tagen vor Beginn der Offensive am 31. Juli die deutschen Stellungen mit viereinhalb Millionen Granaten beschossen haben, ist der Boden schon zerpflügt, als sie schließlich losziehen - und es zu regnen beginnt. Menschen, Tiere, Panzer, Geschütze, alles sinkt ein. Gleichzeitig verteidigen sich die Deutschen unerwartet zäh, wobei sie Chlorgas, später auch erstmals Senfgas einsetzen.

Mit einer Gedenkfeier wird an die Schlacht von Passchendaele erinnert: Eine Militärkapelle spielt auf dem Soldatenfriedhof in Zonnebeke. (Foto: Joe Giddens/PA Wire/dpa)

Bald wächst kein Baum mehr rund um Ypern, Granattrichter stehen voll stinkenden Wassers. Die Berichte überlebender Soldaten rufen Bilder der Apokalypse hervor oder von Dantes Inferno. "Auf eine gewisse Weise war es schlimmer, wenn einen der Schlamm nicht nach unten zog", erinnerte sich der Füsilier Charles Miles. "Denn wenn man etwas Festes unter den Füßen verspürte, war es eine Leiche, auf die man getreten war."

"I died in hell (They called it Passchendaele)", dichtete der Soldat Siegfried Sassoon, eine Zeile, die sich auf Englisch reimt und die jedes britische Schulkind kennt. Passchendaele (heute Paschendale) ist Synonym geworden für die Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges. Die Erinnerung an die Opfer wird über Generationen weitergetragen, sogar Babys hat man nach der Schlacht benannt. "Wir fühlen uns in der Schuld unserer Soldaten", sagt Jean Wolley aus Durham, die die Zeremonie verfolgt. "Sie haben alles gegeben, ihr Leben. Daran zu erinnern ist das Mindeste, was wir tun können." Wolley hat erst vor zwölf Jahren herausgefunden, dass ihr Großvater und dessen Bruder in Passchendaele starben. Ihre Mutter hat nie darüber geredet. Ein anderer berichtet, sein Großvater habe die Schlacht überlebt und dem Enkel Geschichten erzählt, vom Schlamm und dem Elend. "Ich fand das als Kind sehr spannend."

In Großbritannien ist diese Erinnerungskultur noch sehr lebendig, nicht nur am Poppy Day, wenn mit der Mohnblume im Revers für die Veteranen gesammelt wird. Die Deutschen haben Vergleichbares nie entwickelt. Zu negativ war der Krieg besetzt, zu groß die Schuld angesichts der folgenden NS-Herrschaft. Aber es gibt auch einen "German moment" am Montag. Als Geste der Versöhnung liegen vier deutsche Soldaten in Tyne Cot, der so heißt, weil die deutschen Bunker manche Briten an ihre Häuschen zu Hause in Tyneside erinnerten. Vor diesen deutschen Gräbern legen Außenminister Sigmar Gabriel und die belgische Königin Mathilde Kränze nieder.

Sigmar Gabriel und Königin Mathilde legen Kränze nieder. Eine Geste der Versöhnung

Man kann nicht umhin, an den Brexit zu denken in diesem Moment, da sich die britische Nation ihrer selbst vergewissert. Die Soldatengräber Flanderns seien "Mahnung und Ansporn", für eine "zukunftsfeste Europäische Union und eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu arbeiten", schrieb Gabriel am Montag in der FAZ. Die Briten ziehen eine andere Lehre aus Passchendaele.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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