Ballett:Auf einem grausamen Markt

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29 von 63 Mitgliedern verlassen das Ensemble an der Bayerischen Statsoper - ein Symptom für die Zustände in dieser Kunstdisziplin. Regt das vielleicht irgendjemanden auf? Nein, niemals.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Tanzen an sich ist ein hartes Brot. Ballett ist das härteste. Das schmecken schon die Kleinen, die mit acht Jahren an der Stange stehen. Leistung ist alles, will man weiterkommen in einer Kunst, die wie keine andere den Körper und damit die Seele angreift. Früh wird ausgesiebt, und auch bei fertigen Tänzerinnen steht nebendran vielleicht eine, deren Beine länger sind, deren Technik besser ist als die eigene. Mehr als in anderen Bühnenberufen ist der Tänzer, die Tänzerin abhängig vom Geschmack eines Ballettdirektors oder eines Choreografen, und nicht nur von der Begabung und dem mit Schweiß erarbeiteten Können. Glücklich, wer in ein Ensemble kommt. Wer kein Engagement hat, der reist von Vortanzen zu Vortanzen, immer in der Hoffnung zu gefallen, die Konkurrenz auszustechen. Und wird schnell älter dabei: Bei Männern endet das Tänzerleben oft schon mit Mitte 30, bei Frauen mit 40.

Die Tatsache, dass 29 Tänzerinnen und Tänzer das Bayerische Staatsballett, eines der größten Ballettensembles in Deutschland, nach Ende der Spielzeit verlassen werden, wird seit der namentlichen Bekanntgabe der scheidenden Mitglieder am vergangenen Dienstag als sehr wohl bedauerlicher, aber auch normaler Vorgang zur Kenntnis genommen. Kein Aufschrei, nirgends. Zur neuen Saison löst der russische Tänzer und derzeitige Chef zweier Ballettkompanien in Moskau und Nowosibirsk, Igor Zelensky, den langjährigen Ballettchef Ivan Liška ab.

Tänzer hätten viel Grund zur Klage. Aber sie halten fast immer den Mund. Muss das sein?

Diesmal gehen 29 von 63 Tänzerinnen und Tänzern auf einen Schlag, also fast die Hälfte der Kompanie. Jede und jeder dort wusste, dass Tabula rasa bevorstand. Jeder Wechsel an der Spitze bringt automatisch Wechsel in einem Ensemble mit sich. Jetzt in München ist er nur besonders groß. Wer klug war, fing früh von sich aus an, sich anderweitig zu orientieren. Denn selbst zu gehen, macht immer noch einen besseren Eindruck, als gegangen zu werden. Einige der 29 haben es daher gar nicht erst darauf ankommen lassen, dass ihre Verträge erneut verlängert würden. Der normale Bühnenvertrag sieht die jährliche Vertragsverlängerung für alle Bühnenangehörigen vor. Tänzer müssen aber oft härter arbeiten als andere. Steht eine Premiere, gar eine Uraufführung an, werden die vorgeschriebenen Ruhezeiten jedoch trickreich umschifft. Hinzu kommt die allgegenwärtige Verletzungsgefahr, die im schlimmsten Fall das Aus bedeutet, und das oft verdrängte Wissen um das frühe Karriereende. Anders als Orchestermusiker und Chorsänger sind Tänzer von den künstlerischen Vorlieben ihrer Chefs buchstäblich körperlich betroffen. Deshalb halten sie meist den Mund, auch wenn man sie verschiebt wie die Schachfiguren. Denn Tänzer wollen immer nur eines - tanzen. Egal wo.

Es sind wenige, aber es gibt sie heute schon, die Choreografen, die keine Gardemaße mehr wollen, die wissen, dass auf einem durchtrainierten Körper möglicherweise auch ein kluger, kreativer Kopf sitzt. Solche Choreografen und Choreografinnen, sie wachsen nicht in hierarchischen Systemen und richten sich nicht nach den Gesetzen des Marktes. Sie gilt es zu fördern und mit ihnen selbst denkende und selbstbestimmte Tänzer. Denn dieser Markt ist grausam, die internationale Konkurrenz ist groß, dringend müssen die Akteure geschützt werden.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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