Außenminister Westerwelle:Erste Notlandung

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Ein Rückfall in alte Zeiten: Der Außenminister Westerwelle benimmt sich so trotzig wie der Parteipolitiker Westerwelle. Wenn es nicht läuft, wie er will, macht er nicht mit.

Nico Fried, Berlin

Es ist also nur ein falscher Eindruck entstanden. Der Sprecher des Bundesaußenministers erklärt am Dienstag, dass die Drohung von Guido Westerwelle, die Afghanistan-Konferenz zu boykottieren, nicht als Drohung Westerwelles gemeint war, die Afghanistan-Konferenz zu boykottieren.

Der Außenminister auf dem Weg nach Kabul. (Foto: Foto: dpa)

Der Außenminister hatte in einem Interview gesagt: "Wenn die Afghanistan-Konferenz in London eine reine Truppensteller-Konferenz wird, fahre ich nicht hin." Da war eigentlich nichts falsch zu verstehen. Trotzdem sei nun ein falscher Eindruck entstanden, nicht bei Westerwelle, sondern in der Öffentlichkeit. Sagt sein Sprecher.

Wenn es um Westerwelle geht, entsteht der falsche Eindruck offenbar häufig nur bei anderen. Schon nach der Bundestagswahl im September beklagte der FDP-Vorsitzende, manche Medien wollten die Dimension des liberalen Wahlerfolges nicht erfassen. "Kommen Sie mal an!", hielt er Skeptikern entgegen. Und als der Vizekanzler kürzlich gefragt wurde, woran es liege, dass in der neuen schwarz-gelben Koalition so viel gestritten werde, antwortete er: "Mit Verlaub: an Ihrer falschen Wahrnehmung."

Viele Spitzenpolitiker machen solche Spielchen. Aber bei keinem anderen bleibt fortwährend diese Unsicherheit, dass es sich womöglich gar nicht um ein Spielchen handelt. Westerwelle, so wirkt es immer wieder, tut nicht pikiert, er ist es. Er nimmt sein Amt als Außenminister ernst, sehr ernst. Aber in den ersten Wochen seit seiner Vereidigung hat offenbar der Verdacht nicht nachgelassen, dass ihn andere nicht so ernst nehmen. Westerwelle reagiert darauf mit Trotz. Und dann kommt ein Satz heraus wie der über die Londoner Konferenz, der klingt, als werde er nicht mitmachen, wenn es nicht nach seinen Wünschen gehe.

Westerwelle hat schon so geredet, als er noch nicht Außenminister war. Vor der Bundestagswahl sagte der FDP-Vorsitzende immer wieder, dass er nur mit der Union koalieren wolle und nicht in einer Ampel mit SPD und Grünen. Entweder so oder gar nicht - eine klare Ansage zu machen, das führte Westerwelle, dem so lange der Ruf des Unseriösen anhing, zu einem innenpolitischen Erfolg. Außenpolitisch wird es nun zum Problem.

Immer wieder und in immer neuen Formulierungen betont Westerwelle, dass er sich in seinem neuen Amt schon überlege, was er sage: "Ich weiß nur, dass ich als Außenminister meine Worte ganz besonders genau zu wählen habe", gab er kürzlich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Protokoll.

Und am Ende des selben Interviews fügte er hinzu: "Schon als Jungliberaler habe ich von Hans-Dietrich Genscher gelernt, dass man in der Außenpolitik Fragen klugerweise erst dann beantwortet, wenn sie sich stellen, nicht immer schon dann, wenn sie einem gestellt werden." Mit dem Satz über die Konferenz in London hat Westerwelle nicht nur seine Worte schlecht gewählt. Er hat eine Frage beantwortet, die nicht gestellt worden war. Von niemandem.

Ein Rückfall in alte Zeiten

Dem Außenminister Westerwelle ist damit sein erster echter Fehler unterlaufen. Das Gerede vom falschen Eindruck ist nur die Camouflage dafür, dass nicht sein soll, was nicht sein darf. Westerwelle hat diesen Fehler begangen, weil er eine außenpolitische Aussage innenpolitisch gemeint hat.

Es war ein Rückfall in alte Zeiten: Er wollte sich unübersehbar als derjenige präsentieren, der gegen mehr deutsche Soldaten in Afghanistan eintritt, gegen eine weitere Militarisierung der Außenpolitik. Dafür hat er eine Konferenz in Zweifel gezogen, die von der Bundeskanzlerin mit initiiert wurde. Ausgerechnet Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans, ehedem Sprecher der FDP-Fraktion und ein Vertrauter Westerwelles, musste am Dienstag daran erinnern, dass Angela Merkel schon am 8. September "gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Sicherheit sowie wirtschaftliche und soziale Entwicklung" in Afghanistan als Ziele der Konferenz benannt hatte - und dass sich daran auch nichts geändert habe.

Rücksicht auf Befindlichkeiten

Ein Hinweis, der auf den Minister wie die Höchststrafe wirken musste. Westerwelle wird sich selbst am meisten ärgern. Denn er will seine Sache als Außenminister ja gut machen. Über sein Verhältnis zur amerikanischen Kollegin Hillary Clinton hat er gerade dem Stern gesagt: "Vielleicht gibt es da auch noch eine stille Gemeinsamkeit zwischen Menschen, die sich immer wieder wehren mussten, gegen Rückschläge, gegen viel Häme und Kritik." So sieht sich Westerwelle. Für so einen ist mit dem Regierungsamt die dauernde Rechtfertigung gegenüber jenen verbunden, von denen er sich missachtet gefühlt hat - und noch immer fühlt.

Westerwelles erste Amtshandlung war sein Verdikt, dass er aus Rücksicht auf polnische Befindlichkeiten einer Berufung von Erika Steinbach in den Stiftungsrat des Vertriebenen-Zentrums nicht zustimmen werde. Eines Tages aber wollte er danach plötzlich nicht mehr gefragt werden. Er habe nicht vor, dieses Thema auf jeder Pressekonferenz in den Mittelpunkt zu stellen, moserte er Mitte November. Es gebe wichtigere Dinge. "Es war übrigens auch kein Thema in Mazar-i-Sharif", fügte der Minister spitz hinzu, der damals offensichtlich lieber zu Afghanistan befragt worden wäre, wohin er kurz zuvor gereist war.

Am 26. November brachte Westerwelle die Afghanistan-Mandate für die Bundeswehr im Bundestag zur Verlängerung ein. Es war der Tag, an dem die Bild-Zeitung neue Erkenntnisse über das Bombardement von Kundus veröffentlicht hatte.

Verhalten? "Inakzeptabel und würdelos"

Westerwelle sagte dazu kein Wort, reagierte aber auf eine entsprechende Zwischenfrage der Grünen ungehalten: "Wenn ich hier als Außenminister zum ersten Mal ein solches Mandat einbringe, dann sollten wir der Debatte Genüge tun." Der Minister wollte dem Parlament vorgeben, wie es sich zu verhalten habe, und wurde auch noch selber pampig: Zwischenfragen, die dazu dienten, eigene Süppchen zu kochen, seien "unangemessen", ließ er die Grünen wissen. Ihr Verhalten sei "inakzeptabel und würdelos".

Westerwelle hat eine genaue Vorstellung davon, wie es laufen soll mit ihm als Außenminister. Aber er gerät ins Schleudern, wenn es so nicht läuft. Dann rettet er sich in Empörung, die ihm früher geeignetes Mittel war, Aufmerksamkeit zu erlangen. Für einen Minister, einen Außenminister zumal, wirkt diese Empörung nur künstlich und offenbart einen Mangel an Souveränität. Es ist die Rolle eines Politikers, der Westerwelle selbst wahrscheinlich gar nicht mehr sein will.

© SZ vom 30.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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