Auftritte des nordkoreanischen Staatschefs:Wenn der Diktator spielt

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Er zeigt sich mit Kleinkindern, Disneyfiguren - und sogar mit seiner Frau. Das ist der auffällige Unterschied zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und seinem Vorgänger. Die Auftritte nähren Spekulationen über eine Öffnung des Landes.

Christoph Neidhart, Tokio

Es sind unerhörte Worte für die stalinistische Familiendynastie: Nordkorea müsse das veraltete Denken aus den Köpfen seiner Funktionäre tilgen, soll Kim Jong Un jüngst gesagt haben, der neue Machthaber in Pjöngjang.

Amüsiert sich im Vergnügungspark von Rungna: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un (r., undatiertes Foto der amtlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA). (Foto: AFP)

Er wolle "die Wirtschaft entwickeln", präzisierte er am Freitag im Gespräch mit einer Delegation aus China, den ersten offiziellen ausländischen Besuchern, die er als Staatschef empfing. Die Nordkoreaner sollen künftig "ein glückliches und zivilisiertes Leben führen" können. Er wolle, sagte er schon früher, dass seine Landsleute "ihre Gürtel nicht mehr enger schnallen müssen".

Vor drei Wochen hatte Kim bereits seinen Armeechef Ri Yong Ho abgesetzt. Der galt in Südkorea als Hardliner. Zu seinem Nachfolger ernannte der junge Diktator sich selbst. Und ließ danach Artillerie- und Hubschrauber-Einheiten verlegen. Optimisten in Seoul versuchen dies positiv zu deuten, zumal Kim, anders als von Washington befürchtet, bislang keinen Atomtest zünden ließ.

Allerdings soll die Verlegung der Truppenteile strategisch keinen Sinn ergeben: Die Kampfhubschrauber stehen jetzt direkt an der Küste zum Gelben Meer, wo sie besonders exponiert sind. Die USA und Südkorea werden vor dieser Küste noch im August Manöver abhalten.

Besonders auffällig ist, wie Kim sich seinen Landsleuten und der Welt präsentiert - als netter junger Mann. Er spielt mit Kleinkindern, jüngst vergnügte er sich auf einer Show mit Disney-Figuren, und im Rungna-Park in Pjöngjang sah er sich eine Delfin-Vorführung an und fuhr mit dem britischen Diplomaten Barnaby Jones Achterbahn.

Und er stellte der Welt seine Gattin Ri Sol Ju vor. Seine Vorgänger, sein Vater Kim Jong Il und sein Großvater Kim Il Sung hatten sich dem Volk nie mit ihren Frauen gezeigt, sie hatten auch kaum Kontakt zu ausländischen Diplomaten. All das wird Kim von manchen Experten in Seoul als Wille zur Reform ausgelegt.

Pjöngjang bezeichnet die Spekulationen als "dumm"

Weil außerhalb von Pjöngjang niemand weiß, was Kim wirklich plant, oder wie viel Macht und Spielraum er hat, können die südkoreanischen Experten die Bilder und Bemerkungen aus Pjöngjang interpretieren, wie sie wollen, es wird weltweit aufgegriffen: je sensationeller, desto eher. So meldeten sie, Armeechef Ri sei nach seiner Absetzung bei einem Schusswechsel getötet worden.

Kim selbst dichteten sie ein Verhältnis zur Sängerin einer nordkoreanischen Popgruppe an; dabei hatten sie seine Frau mit dem Popstar verwechselt. Sicher sagen lässt sich lediglich: Kim grenzt sich mit seinem Stil deutlich von seinem verstorbenen Vater ab. Ansonsten weiß man heute kaum mehr über Nordkorea als vor seinem Machtantritt.

Die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KNCA sah sich vorige Woche bemüßigt, diese Spekulationen zu dementieren. Es sei "dumm", von "Reformen und Öffnung" zu reden, wie das Gruppen in Südkorea täten. Es gebe keine "Anzeichen einer veränderten Politik". Soll man das beim Wort nehmen, oder will das Regime bloß die alte Garde beruhigen? Auch das lässt sich schwer sagen. Selbst wenn Kim Reformen anschieben wollte, sagte der Nordkorea-Experte Yo Ho Yeol von der südkoreanischen Korean University kürzlich, sei nicht klar, ob er das könnte. Eine Öffnung würde die Existenz des Regimes gefährden.

Der Experte schätzt, Kim werde fünf bis zehn Jahre brauchen, um seine Macht zu konsolidieren. Erst dann könne er sich ohne Einschränkung durchsetzen. Bis dahin aber sei es unwahrscheinlich, dass Nordkorea den selbstdeklarierten Status als Atommacht aufgeben würde, da das kleine Nukleararsenal dem Regime das Überleben sichere. Doch so lange Pjöngjang sich als Atommacht definiere, dürften weder die USA noch Südkorea Kim mögliche Reformen unterstützen.

Wird Kim überhaupt genügend Zeit für Reformen haben? Obwohl das Regime derzeit stabil sei, sagt der Wissenschaftler, sei nicht sicher, ob es das ohne Kim Kyong Hui bleibe, die Schwester des verstorbenen Geliebten Führers. Sie und ihr Mann Jang Sung Taek, die auch als Kim Jong Uns Mentoren gelten, hielten die Flügel der nordkoreanischen Elite zusammen. Aber die 66-Jährige wirke auf TV-Bildern krank.

Nordkorea ist nicht mehr so hermetisch abgeriegelt wie bis vor einigen Jahren. Die Menschen wissen heute mehr über die Außenwelt, auch über Südkorea, wo sich von 24.000 Flüchtlingen immer mehr erfolgreich integrieren - und Geld und Information in den Norden schmuggeln lassen. In Nordkorea herrscht chronisch Hunger, die Wirtschaft ist am Boden, die meisten Menschen überleben nur dank der Schattenwirtschaft.

Schwere Überschwemmungen im Juli haben die erwartete Reisernte in einigen Gegenden zu 90 Prozent zerstört, 80.000 Menschen haben ihre Häuser verloren, 50 000 Haushalte sind ohne Trinkwasser. Seuchen drohen. Nordkorea hat die Welt um Unterstützung gebeten, die UN helfen, aber Seouls Wiedervereinigungsminister Park Soo Jin sieht dazu keinen Anlass. Man kann vermuten, dass Seoul keine tief greifenden Reformen erwartet, wenn es nicht einmal humanitäre Hilfe leistet.

Immerhin wählt Südkorea im Dezember einen neuen Präsidenten. Der abtretende Lee Myung Bak und seine Regierung seien, was Nordkorea angehe, vor viereinhalb Jahren völlig unvorbereitet angetreten, sagt der Wissenschaftler Yo. Als Hardliner zerschlug Lee im ersten Jahr die fragilen Verbindungen, die seine Vorgänger nach Pjöngjang geknüpft hatten.

Da auch die USA im Herbst wählen und in Peking ebenfalls ein Machtwechsel bevorsteht, könnten die internationalen Bedingungen für Reformen in Nordkorea nächstes Jahr anders aussehen.

© SZ vom 06.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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