Atomwaffen:Nukleare Renaissance

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122 Staaten haben mit den Vereinten Nationen einen Vertrag ausgehandelt, der das Totalverbot von Atomwaffen zum Ziel hat. Doch die Realität ist: Die Supermächte USA und Russland bauen ihr Arsenal eher aus.

Von Tobias Matern, München

Der Präsident erteilte sich selbst einen Arbeitsauftrag, der sich aus der Geschichte seines Landes zwingend ergebe: "Als Nuklearmacht, als einzige Atommacht, die diese Nuklearwaffe eingesetzt hat, haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung, hier zu handeln." Das sagte Barack Obama bei seiner Prager Rede 2009. Sein Bekenntnis zum Sündenfall, den die USA mit dem Abwurf der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki begangen hatten, gaben den Sätzen eine besondere Kraft. Sie hätten tatsächlich der Anfang auf dem Weg zum "Global Zero" sein können, also einer Welt ohne Nuklearwaffen. Stattdessen sind sie, mit einigen Jahren Abstand betrachtet, nur schöne Worte.

Atomwaffen gelten auf internationaler Bühne längst wieder als Mittel der Wahl, zur Abschreckung und um Machtbereiche zu sichern: bei den Nato-Staaten unter Führung der USA, bei Russland, Indien und Pakistan; Israel bestätigt sein Programm nicht offiziell. Und als Sonderfall gilt Nordkorea, dessen Herrscher Kim Jong-un eigentlich keine Atomwaffen gegen ein anderes Land einsetzen kann, weil sich das Regime damit durch den Gegenschlag selbst dem Untergang geweiht hätte.

Kims Überlebensgarantie ist also der Besitz, aber nicht die kriegerische Nutzung von Nuklearwaffen. Dennoch haben seine Drohungen gegen die USA ein Ausmaß erreicht, das Obamas Nachfolger Donald Trump zu einer Attacke gegen Nordkorea verleiten könnte - mit unkalkulierbaren Folgen. Jedenfalls strapaziert der 33-jährige Diktator aus Pjöngjang mit den Tests von Interkontinentalraketen die Nerven Washingtons und die der Nachbarn bis aufs Äußerste.

Auch Deutschland stellt sich gegen ein Totalverbot von Atomwaffen

Die nuklearen Machenschaften Kims fallen auch in eine Zeit, in der eine internationale Bewegung am Ziel des "Global Zero" festhält. Sie gibt nichts auf die Lippenbekenntnisse der Nuklearmächte, mit der Abrüstung erst zu beginnen, wenn die Weltlage es zulasse. Bei den Vereinten Nationen haben 122 Staaten kürzlich einen Vertrag ausgehandelt, der den Erwerb und Besitz der Massenvernichtungswaffe ächtet. Das Totalverbot von Atomwaffen, das bei der anstehenden Vollversammlung zur Unterschrift bereitliegen wird und nach Ratifizierung durch 50 Staaten in Kraft tritt, gilt bei Kritikern aber als Realitätsverweigerung. Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Hailey begründete den Verhandlungsboykott ihrer Regierung so: "Gibt es irgendjemanden, der glaubt, Nordkorea werde Atomwaffen verbieten?"

Der Verweis überdeckt aber auch eine andere Realität: Schon vor der aktuellen Eskalation haben die USA und Russland, die etwa 90 Prozent des globalen Atomwaffenarsenals besitzen, eher die Modernisierung ihrer Bestände statt eine weitere Abrüstung betrieben.

Auch Deutschland als nuklearer Teilhabestaat, der unter dem Schutz der USA steht, verweigerte sich den Verhandlungen, obwohl die Bundesregierung offiziell eine atomwaffenfreie Welt anstrebt. Allerdings sieht Berlin in einem Totalverbot kein probates Mittel, das Ziel zu erreichen, sondern setzt auf den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV). Dieser legt unter anderem fest, dass Staaten mit Nuklearwaffen abrüsten sollen und sich Nicht-Atomwaffenstaaten im Gegenzug Kontrollen unterziehen. Doch der NVV hat weder die nukleare Renaissance der vergangenen Jahre noch neue Mitglieder im Club der Atomstaaten verhindern können.

So sieht sich die internationale Staatengemeinschaft in der Nuklearfrage nicht nur einer realen Bedrohung durch Nordkorea ausgesetzt, sie ist auch gespalten: Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten stellen den einen Block, eine Mehrheit von 122 Staaten will mittels einer radikalen Lösung die Menschheit endlich von der Waffe befreien, die maximalen Schaden anrichten kann.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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