Atomprogramm:Israels Spiel mit der nuklearen Zweideutigkeit

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Das Atomprogramm gilt in dem von Feinden umzingelten Israel als letzte Absicherung gegen eine Wiederholung des Holocaust. Dass es Hunderte atomare Sprengköpfe besitzt, ist ein offenes Geheimnis. Weil Leugnen zwecklos ist, nutzt Israel eben die Kraft, die aus dem Zweifel wächst. Es kann nie schaden, wenn Iran an U-Boote erinnert wird, deren Atomraketen bis nach Teheran fliegen können.

Peter Münch, Tel Aviv

Die Bombe ist ein Geheimnis, doch wahrscheinlich ist sie das am besten verbreitete Geheimnis der Welt. Wer Israels Politiker oder Militärführer nach der atomaren Bewaffnung des jüdischen Staats fragt, der erntet nur ein wissendes Lächeln.

Die Mannschaft des in Deutschland gebauten israelischen U-Bootes INS Dolphin steht während einer Gedenkzeremonie im Mittelmeer für das im Jahr 1968 zwischen Kreta und Zypern gesunkene Unterseeboot Dakar an Deck (Archivbild von 1999). (Foto: AP)

Verfügt das Land tatsächlich über 100 bis 300 nukleare Sprengköpfe, wie die Verteidigungsexperten von der Fachzeitschrift Jane's Defence Weekly in London errechnet haben? Kein Kommentar. Werden die Atomsprengköpfe nicht nur auf Boden-Boden-Raketen vom Typ Jericho, sondern auch auf Marschflugkörper montiert, die von den in Deutschland gebauten Dolphin-U-Booten aus abgefeuert werden können? Kein Dementi. Was bleibt, ist Raum für Spekulationen.

Seit Jahrzehnten schon pflegt Israel seine Politik der nuklearen Zweideutigkeit. Der Besitz der Bombe, an dem es faktisch keine Zweifel mehr geben kann, wird weder zugegeben noch bestritten. Vielmehr wird das Geheimnis gepflegt, denn es erfüllt mittlerweile einen klar kalkulierten Zweck.

Atomare Abschreckung

Wenn alle Welt davon ausgeht, dass Israel die Bombe besitzt, ist das Ziel der atomaren Abschreckung erreicht. Wenn die Regierung den Besitz jedoch nicht zugibt, kann sie sich all den lästigen Diskussionen um die Legitimität einer solchen Bombe entziehen. Dem Atomwaffen-Sperrvertrag ist Israel ohnehin nie beigetreten, anders als im möglichen iranischen Fall ist also der Bombenbau kein Vertragsbruch.

Am Anfang allerdings war das Geheimnis tatsächlich streng gehütet. Getarnt als Textilfabrik entstand in der Negev-Wüste nahe der Stadt Dimona mithilfe Frankreichs ein 26-Megawatt-Reaktor, auch Zentrifugen wurden geliefert und Uran angereichert. Am Werk war ein Team von jungen Wissenschaftlern, die politische Verantwortung hatte Staatsgründer David Ben Gurion damals Schimon Peres übertragen, dem heutigen Präsidenten. Der Friedenobelpreisträger darf also als Vater der israelischen Atombombe gelten.

Das Atomprogramm gilt in dem von Feinden umzingelten Land bis heute als letztgültige Absicherung gegen eine Wiederholung des Holocaust. Aber natürlich konnte auch damals ein solches Projekt nicht auf Dauer vor allen Geheimdiensten der Welt verborgen werden. Die Israelis ließen sich jedoch nicht von ihrem Kurs abbringen, selbst nicht durch Warnungen aus Washington. Vereinbart wurde schließlich Stillschweigen - keiner fragt, keiner redet.

Lange aber hat sich die israelische Atom-Omertà nicht durchhalten lassen. Dass heute manches über das Atomprogramm des jüdischen Staats bekannt ist, liegt zunächst an undichten Stellen. Öffentlich und weltweit wurde Mitte der achtziger Jahre erstmals über die Bombe aus Dimona geredet.

Der "Atomspion"

Mordechai Vanunu, ein früherer Angestellter der Anlage, hatte geheime Unterlagen zur Veröffentlichung an die britische Sunday Times weitergegeben. Vanunu musste dafür büßen, er wurde als "Atomspion" in Israel 18 Jahre lang eingekerkert. Doch der Bann war gebrochen - und auch wissenschaftlich ist das Thema mittlerweile gut erforscht durch zwei umfassende Bücher des Israelis Avner Cohen. Vorsichtshalber arbeitet und veröffentlicht Cohen allerdings in den USA.

Weil Leugnen zwecklos ist, nutzt Israel schon seit Längerem die Kraft, die aus dem Zweifel wächst. "Die Furcht vor dem Unbekannten ist größer als die Furcht vor dem Bekannten", so hat es einmal Ephraim Esculai formuliert, der mehr als 40 Jahre für Israels Atomenergie-Kommission gearbeitet hat. In diesem Spiel erscheint es von Zeit zu Zeit geboten, auch einmal einen Blick in den atomaren Abgrund zu gewähren, um die Abschreckungswirkung zu festigen.

Wenn es sein soll, wird also auch einem Spiegel-Reporter einmal der Zutritt zu einem der von Deutschland an Israel gelieferten Dolphin-U-Boote gestattet, über die seit Jahren schon mit dem immer gleichen Zusatz berichtet wird, dass diese Boote auch Atomwaffen tragen können. Die Waffenkammer bleibt dem Besucher natürlich verschlossen, das Geheimnis bleibt pro forma gewahrt. Doch es kann nie schaden, wenn die Führung in Iran daran erinnert wird, dass es diese U-Boote gibt mit Atomraketen, die Teheran erreichen könnten.

© SZ vom 05.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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