Atomkraft:Japan schaltet letzten Reaktor ab

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Erstmals seit Jahrzehnten erfolgt die Energieversorgung in Japan komplett ohne Atomstrom. Nach dem Atomunglück in Fukushima haben die Betreiber nach und nach alle betriebenen Reaktoren zu Wartungsarbeiten heruntergefahren. Wieder anschalten konnten sie vorerst keinen - die Ablehnung in der Bevölkerung ist zu groß.

Erstmals seit dem 4. Mai 1970 erfolgt die Energieversorgung in Japan komplett ohne Atomstrom. Gut ein Jahr nach der Atomkatastrophe von Fukushima ist in Japan der letzte noch aktive Reaktor zu Wartungsarbeiten abgeschaltet worden. Wie der Stromkonzern Hokkaido Electric Power (Hepco) mitteilte, wurde am Nachmittag damit begonnen, den Reaktor herunterzufahren. Unterdessen gingen in Tokio rund 5500 Menschen für eine atomfreie Gesellschaft auf die Straße, wie lokale Medien berichteten.

In Tokio demonstrieren Tausende für den finalen Atomausstieg Japans. Ein Etappensieg ist gelungen: Aktuell ist in dem Land kein einziger Reaktor in Betrieb. (Foto: AFP)

Der Reaktor im Kraftwerk Tomari auf der Nordinsel Hokkaido soll während der mehrere Monate dauernden Wartung nicht aktiviert werden. Japan verfügt noch über 50 Reaktoren, nachdem Mitte April die vier zerstörten Atomreaktoren in Fukushima offiziell außer Dienst gestellt wurden.

Infolge des Erdbebens und des Tsunamis am 11. März 2011 war es in den Reaktoren zu einer Kernschmelze gekommen. Es war das schwerste Atomunglück seit Tschernobyl 1986. Bis zu dem Unglück bezog Japan etwa ein Drittel seines Stroms aus der Atomkraft. Es ist nun das erste Mal seit den 1970er Jahren, dass Japan ganz ohne Atomstrom auskommen muss.

Infolge des Atomunglücks, durch das weite Gebiete im Umkreis radioaktiv verseucht worden waren, wächst in Japan die Ablehnung der Atomkraft. Keiner der Reaktoren, die seitdem zu Wartungsarbeiten heruntergefahren worden sind, durfte bisher wieder in Betrieb gehen. Die Regierung von Ministerpräsident Yoshihiko Noda gab im April zwar grünes Licht für die Wiederinbetriebnahme von zwei Reaktoren in Oi, doch müssen die Behörden noch die Anwohner überzeugen, dem Schritt zuzustimmen. Seit dem Unglück wurden die Regeln so verschärft, dass Atomkraftwerke nicht nur einen Stresstest der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bestehen, sondern auch die Zustimmung der örtlichen Bevölkerung erhalten müssen.

Am Samstag forderten in Tokio Tausende Menschen auf mehreren Demonstrationen den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft. "Eine neue Ära ohne Atomkraft hat in Japan begonnen", sagte der 56-jährige Mönch Gyoshu Otsu bei einer Kundgebung vor dem Industrieministerium. Der Organisator Masao Kimura sprach von einem "symbolischen Tag". "Nun können wir beweisen, dass wir auch ohne Atomstrom zu leben fähig sind."

Während der heißen Sommermonate könnte das Stromangebot nicht ausreichen

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, bezeichnete die Entwicklung in Japan als "weiteren Beleg des unaufhaltsamen Endes der Atomindustrie". Japans Gesellschaft habe erlebt, "dass das Land mit seiner energiehungrigen Industrie und seinen gigantischen Städten auch ohne Atomstrom funktioniert", erklärte Harms.

Stromkonzerne warnen indes vor Engpässen während der heißen Sommermonate. Nach Angaben des Unternehmens Kansai Electric Power, das die Großstädte Osaka, Kyoto und Kobe versorgt, könnte aufgrund des hohen Strombedarfs für Klimaanlagen der Bedarf das Angebot um 20 Prozent übersteigen. Die Firma verzeichnete 2011 einen Verlust von 2,28 Milliarden Euro aufgrund der hohen Kosten für die Wiederinbetriebnahme zuvor abgeschalteter Wärmekraftwerke.

Bisher sind Engpässe ausgeblieben, doch für Regierung, Industrie und Verbraucher ist der derzeitige Zustand unbefriedigend. Der verstärkte Einsatz von Kohle, Gas und Erdöl zur Stromproduktion erhöht den Kohlendioxidausstoß und die Abhängigkeit des ressourcenarmen Landes von der Einfuhr von Kraftstoffen. Für die Verbraucher steigen die Preise, zudem sind sie angehalten, ihren Verbrauch zu drosseln.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/sks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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