Asylrecht:Flüchtlinge als Verbrecher

Erst Aufnahmehaft, dann Abschiebehaft: Europa will Asylbewerber künftig einsperren. Diese rabiate Politik praktizieren südeuropäische Grenzstaaten wie Griechenland schon lange. Nun will die EU deren Vorgehen importieren. Damit verrät der Kontinent Grundsätze seines Rechts.

Heribert Prantl

Man hat sich auch in Deutschland daran gewöhnt, dass Flüchtlinge in Abschiebehaft kommen - auch wenn sie nichts verbrochen, sondern nur Zuflucht gesucht haben. Nun soll man sich hierzulande auch noch daran gewöhnen, dass Flüchtlinge sogleich in Aufnahmehaft kommen, sobald sie hier ankommen. Es wird dann so sein, dass die Aufnahmehaft nahtlos in die Abschiebehaft übergeht. Flüchtlinge, die der Unfreiheit entfliehen wollten, landen auf diese Weise genau dort. Aus ganz Europa soll ein Malta für Flüchtlinge werden. Ankommende Bootsflüchtlinge werden in Malta nämlich schon heute sofort und ohne Ausnahme inhaftiert.

Bis Dezember dieses Jahres soll das gemeinsame Asylsystem für Europa fertig verhandelt sein. Ein Eckstein dieses Asylsystems ist die Aufnahmerichtlinie, über die nun seit Dezember 2008 beraten wird. Kern der Aufnahmerichtlinie wiederum ist die geplante Inhaftierung von Asylbewerbern in ganz Europa. Gestritten wird zwischen Parlament, Rat und Kommission gar nicht mehr darüber, ob man Flüchtlinge einfach einsperren darf, sondern wie hurtig und wie lang das geschehen darf - ob man dazu einen Richter braucht (das Parlament sagt ja, der Rat sagt nein), und wie lange die Haft dauern darf. Die derzeitigen Formulierungen sagen: Solange es notwendig ist.

Diese Formulierung ist so umfassend, wie es auch die geplanten Haftgründe sind: Flüchtlinge sollen künftig überall in Europa eingesperrt werden dürfen. Zur Überprüfung ihrer Identität, ihrer Staatsangehörigkeit und ihrer Angaben im Asylantrag, aber auch einfach dann, wenn die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung das erfordern. Mit der Genfer Flüchtlingskonvention lässt sich das nicht vereinbaren; dort steht nämlich, dass ein Flüchtling, das liegt in der Natur der Sache, "irregulär" einreisen darf, und dass das kein Grund für eine Bestrafung sein darf. Aber die Flüchtlingskonvention ist ja schon mehr als 60 Jahre alt und Europa hat andere Sorgen als Flüchtlinge. Europa schützt seine Grenzen, aber nicht die Flüchtlinge.

Flüchtlingsgefängnisse statt Asylschutz

Europa ächzt nicht unter der Last der Flüchtlinge. 1992 kamen fast doppelt so viele Asylbewerber in Deutschland an wie heute in allen 27 EU-Ländern zusammen. Aber das deutsche Asylabwehrsystem, das die Politik damals etabliert hat, wurde mittlerweile europäisiert. Kern dieser Europäisierung ist das Dublin-System: Flüchtlinge, die trotz aller Grenzkontrollen noch nach Europa kommen, sehen sich einem technokratischen Asylzuständigkeitssystem ausgeliefert. Zuständig ist immer das EU-Land, das die Flüchtlinge als erstes betreten haben, es sind zumeist die Südstaaten, also Griechenland, Italien, Malta. Asylschutz gibt es dort nicht, dafür Flüchtlingsgefängnisse. Wenn mittels der Fingerabdruckkartei "Eurodac" festgestellt wird, dass der Flüchtling, der sich irgendwie nach Kerneuropa durchgeschlagen hat, schon in einem europäischen Erstland gewesen ist, wird er ohne Umstände und Prüfung wieder dorthin abgeschoben. Es sei denn, es findet sich ein gnädiger Richter, der das verhindert.

Das deutsche Recht sieht das eigentlich nicht vor. Dort steht ausdrücklich, dass es keine Eilanträge gibt, dass also ein Gericht den Vollzug der Abschiebung nicht aussetzen kann. Nun verlangt zwar das Grundgesetz, dass "jemand", der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offensteht. Der Flüchtling aber gilt nicht als Jemand, sondern als Nichts. Darum darf man ihn auch künftig jederzeit einsperren.

Jüngst haben die EU-Länder, angeführt von Deutschland, das Asylproblem in die EU-Randstaaten im Süden exportiert, indem sie diese für das Gros aller Asylverfahren für zuständig erklärten. Diese Randstaaten wehrten sich dadurch, dass sie Flüchtlinge nicht schützten, sondern einsperrten. Jetzt importieren die EU-Staaten die von diesen Staaten entwickelten rabiaten Einsperr-Methoden. Europa nennt sich selbst "Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit". Für Flüchtlinge gilt das Gegenteil.

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