Asylpolitik:Warten auf den ersten Frost

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Noch ist es warm: Der Innenminister von Sachsen, Markus Ulbig (mit Jackett über dem Arm), sieht sich die Zelt-Notunterkunft in Dresden an. (Foto: dpa)

Sachsens Innenminister verspricht Flüchtlingen in Dresden ein Dach über dem Kopf - und ringt um Führungsstärke. Die Politik wirkt oft überfordert.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Am Sonntag vor einer Woche waren in der Friedrichstadt dann selbst die Helfer mit der Aufnahme überfordert, sie mussten Menschen abweisen, Deutsche vor allem, und sie mussten ihnen sagen: Bitte geht, das Lager ist voll.

Die Hilfsbereitschaft der Dresdner stapelt sich beim DRK auch eine gute Woche später zu Kistentürmen und Tütenhügeln. Die ehrenamtlichen Helfer sortieren in Raum 0S01 geduldig fort: Schlümpfe und Brettspiele, Schuhe und Duschgel, Kleidung für die Kiste "Damen, warm".

Das Bemühen ist hier nicht zu übersehen, die Spenden sind es auch nicht. Dass aber Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Montag für einen Moment in diesen Raum lugt, hat dann doch eher mit den Problemen zu tun, die es hier, an der Notunterkunft für Geflüchtete, nachweislich auch gibt.

Schon die Existenz dieses Zeltlagers für maximal 1100 Menschen ist die Folge eines Problems, nämlich der mitunter verzweifelt wirkenden Suche des Freistaates Sachsen nach Kapazitäten für die Unterbringung von Asylsuchenden. In dem praktisch über Nacht emporgezwungenen Zeltlager mangelte es zunächst an sanitären Anlagen, es mangelte an der Organisation der Verpflegung, und am Wochenende mangelte es einigen Bewohnern dann an Contenance - Massenschlägerei.

Das Zeltlager war da schon ein symbolischer Ort geworden: für die enorme Größe der Herausforderung durch Migration, für den Widerstand einiger dagegen, und für die Überforderung von Politik, diese Herausforderung zu bewältigen.

Das Lager ist auch deswegen ein symbolischer Ort geworden, weil dort die Differenz sichtbar wird zwischen Gerüchten und Realitäten in der Debatte um Unterbringung. Während draußen auch solche hetzten, die glauben, in den Unterkünften flössen Milch und Honig, konnte man drinnen die kargen Feldbetten sehen, die Fleecedecken - das Nötigste. Zur Symbolik dieses Ortes passt es schließlich ganz gut, dass Markus Ulbig die Unterkunft erst jetzt, mehr als eine Woche nach ihrer Errichtung, besucht.

Seit Monaten begleiten Sachsens Innenminister Kritik und auch Häme in seinem öffentlichen Versuch, beim Thema Asyl eine Linie zu entwickeln und zu Führungsstärke zu finden. Am Montag versuchte es Markus Ulbig zunächst mit so etwas wie guten Neuigkeiten: Alle Menschen in den Zelten sollen ein festes Dach über den Kopf in regulären Unterkünften, auch in Containern, bekommen, spätestens "bis zu dem Zeitpunkt, an dem der erste Frost kommt".

Am 10. August wird der Freistaat Sachsen ein Heim mit 400 Plätzen in Leipzig ans Netz nehmen, hinzu kommen neue Plätze in Dresden und Meißen. Wie groß und wie dringend der Bedarf für diese zusätzlichen Kapazitäten auch unabhängig der Jahreszeiten ist, lässt sich mit Zahlen schnell vermessen: 12 500 Asylbewerber kamen im vergangenen Jahr nach Sachsen - 4077 waren es allein in diesem Juli.

Und stünde das Zeltlager nicht in der Dresdner Friedrichstadt, sondern in, sagen wir, Nepal, das DRK brächte nicht 1100 Menschen darin unter - sondern 550. Das wäre der Standard.

Forderungen, Ankündigungen: "Dieses Gelaber, Mensch", entfährt es einem Reporter

Eingedenk solcher Zahlen kommentiert Ulbig den Vorschlag von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, von der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel abzuweichen und Geflüchtete vermehrt im Osten unterzubringen, recht eindeutig. Er "halte nichts davon, innerhalb Deutschlands noch mal eine Verteildiskussion anzufangen", sagt Ulbig.

Bei wem die Botschaft da noch nicht angekommen ist, für den hat Ulbig noch ein schönes Fremdwort übrig. Kretschmann hatte ja auch eine Finanzierung seines Vorschlags angeboten, Ulbig sagt, er halte die Idee "nicht für tauglich, sich durch das Angebot von Geldzahlungen zu exkulpieren".

Einer ganz anderen Form der Exkulpation könnten demnächst jene verstärkt bedürftig werden, die im Internet vor allem gegen Flüchtlinge und Ehrenamtliche hetzen. Minister Ulbig sagt am Montag, er hoffe verstärkt auf "Anklagen und Verurteilungen" im Kampf gegen digitale Verwahrlosung. Anzeigen gebe es jedenfalls schon jetzt genügend.

Die Ausführungen Ulbigs vor dem Gebäude des DRK werden immer wieder leicht überdeckt, von Rollgeräuschen, Liefergeräuschen, Baggergeräuschen. In den Unterkünften bedeutet Zuwanderung vor allem Kärrnerarbeit, auf Ministerebene oft Ankündigungspolitik, selbst in den kleinen Dingen. Die "Gesundheitsstrecke" solle nun im Zeltlager aufgebaut, die "Anschlagstafel" für Informationen durch eine umfänglichere Litfaßsäule ersetzt werden.

Ulbig fordert, mal wieder und wie im Grunde alle Verantwortlichen, schnellere Asylverfahren, er formuliert einen Dank an die Helfer, er fordert bessere Integration hier, mehr Hilfe von dort und dort, er wünscht sich Solidarität von allen, aber man könne das ja nicht anordnen. Das alles hat man natürlich nun schon sehr oft gehört, und einer der Ulbig umstellenden Journalisten hat Glück, dass gerade mal wieder ein Lieferrollgeräusch herangeweht wird, als es enttäuscht aus ihm fährt: "dieses Gelaber, Mensch".

Weder Markus Ulbig noch Christian Hartmann hören diese drei Wörter, schließlich steht Letztgenannter die ganze Zeit hinter dem Minister. Wie lange dies noch im übertragenen Sinne gilt, lässt sich Gerüchten zufolge nicht so leicht sagen.

Auf Hartmann liegt der ziemlich konkrete Verdacht, dass er Minister anstelle des Ministers werden soll und will und zwar im Zweifel nicht erst nach der nächsten Landtagswahl in vier Jahren. Wenn man Hartmann an diesem Nachmittag in der Friedrichstadt fragt, warum er denn auch gekommen sei, sagt der innenpolitische Sprecher der Landtags-CDU: "Soweit ich weiß, ist es immer noch das verfassungsmäßige Recht des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren."

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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