Assanges Asyl in Ecuador:Che Guevara aus dem Cyberspace

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Seit Kolonialzeiten lebt eine breite politische Klasse in Lateinamerika von der Auflehnung gegen europäische und vor allem nordamerikanische Übermacht. Ein Systemkritiker wie Mister Assange wird da schnell zum Rächer. Doch Ecuador verteidigt die Meinungsfreiheit, die zu Hause nicht immer respektiert wird.

Peter Burghardt

Nun also schaut die Welt auf Ecuadors Botschaft in London, wer hätte das gedacht. Darin wohnt seit einigen Wochen der Australier Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks. Schweden will Assange wegen mutmaßlicher sexueller Belästigung verhören und verlangt seine Auslieferung. Die ecuadorianische Regierung betrachtet ihn als politisch Verfolgten und gewährt ihm Asyl.

Formal ist Assange bisher kein politisch Verfolgter, es liegt keine Klage vor. Andererseits hat Correa das Recht, Assange Asyl anzubieten. (Foto: AFP)

Im Hintergrund, so heißt es, lauert Washington, das dem Mann Geheimnisverrat vorwirft. Es geht um Großbritannien, Schweden, Ecuador, Australien und die USA. Ein Mann, zwei Fronten, fünf Nationen. Wer konnte sich so etwas ausdenken?

Es dürfte schwierig werden, dieses Geflecht zu lösen. Nach Quito käme Assange nur, wenn die britische Regierung das erlaubte oder die Gastgeber in der Botschaft einen Trick entdeckten. Ecuador könnte Assange den Diplomatenstatus verleihen oder ihn aus dem Gebäude schmuggeln. Beides ist sperrig bis unrealistisch.

Hinein in die Botschaft und ihn verhaften dürfen die Briten auch nicht, weil sie damit fremdes Staatsgebiet verletzen würden. Sie werden ihn auch nicht - wie einst die USA den General Noriega in Panamá - mit Hardrock-Beschallung aus seiner Fluchtburg blasen. Es muss verhandelt werden.

Zu Recht empört sein darf zunächst Schweden. Schweden ist ein Rechtsstaat, und es geht bisher nur um eine Vorladung zur Klärung angeblicher Sexualvergehen. Ecuadors Justiz gilt hingegen als parteiischer. Sie erließ auf Antrag des Präsidenten Rafael Correa einen Bußgeldbescheid in Höhe von 40 Millionen Dollar plus Gefängnisstrafe gegen einen unverschämten Leitartikler und seine Zeitung. Der Autor flüchtete ins US-Exil.

Es geht um lateinamerikanische Empfindlichkeiten

Formal ist Assange bisher kein politisch Verfolgter, es liegt keine Klage vor. Andererseits hat Correa das Recht, Assange Asyl anzubieten. Aber es geht nicht um Rechtsinterpretationen, sondern um Politik und lateinamerikanische Empfindlichkeiten.

Einer der Verteidiger von Assange ist der ehemalige spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón. Er hatte 1998 einen historischen Haftbefehl gegen Chiles früheren Diktator Pinochet erwirkt - unter dem Jubel der Opfer der Diktatur. Der Tyrann saß dennoch bis 2000 im bequemen Londoner Hausarrest. Großbritannien lieferte ihn im Einvernehmen mit Spanien nicht aus, Pinochet durfte vielmehr nach Chile heimkehren. Aus humanitären Gründen, wie es hieß.

Jetzt kämpft Garzón wieder für einen vermeintlich Schwachen - nur, dass er diesmal die Auslieferung verhindern will. Garzón hat ein Gespür für Popularität, er offenbart diesmal ein umstrittenes Rechtsverständnis - und findet darin in Ecuador einen Verbündeten.

Rebellion der Verfemten

Seit Kolonialzeiten lebt eine breite politische Klasse in Lateinamerika von der Auflehnung gegen europäische und vor allem nordamerikanische Übermacht. Das erklärt unter anderem den Aufstieg linksgerichteter Regierungen von Hugo Chávez in Venezuela oder Rafael Correa in Ecuador.

Ein Systemkritiker wie Mister Assange wird da schnell zum Rächer, zum Che Guevara aus dem Cyberspace. Endlich bestimmen nicht mehr die Amerikaner, was die Welt erfährt und was nicht, sondern Freibeuter des Internets. Correa wies 2011 die US-Botschafterin aus: Sie hatte ihm in einer Depesche Korruption vorgeworfen, siehe Wikileaks. Außerdem liegt Correa mit den USA im Clinch, weil er einen US-Militärstützpunkt in Ecuador schließen ließ.

Da rebelliert eine Koalition der Verfemten. Correa, Garzón, Assange. Drei Egos, ein Ziel: das Establishment herauszufordern. Das kleine Ecuador legt sich mit Europa und den USA an und verteidigt die Meinungsfreiheit, die zu Hause nicht immer respektiert wird. Es ist die hohe Zeit der Parolen und Intrigen, der Eitelkeiten und Verschwörungstheorien. Das kann andauern.

© SZ vom 18.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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