Arafats Tod:Viel Raum für Spekulationen

Zehnter Todestag von Jassir Arafat

Palästinenser gedenken in Nablus im Westjordanland des zehnten Todestages von Jassir Arafat

(Foto: dpa)

Als Jassir Arafat 2004 starb, konnten sich die Ärzte nicht auf eine bestimmte Todesursache festlegen. Dann kam der Verdacht auf, er könnte mit Polonium vergiftet worden sein. Doch auch in dieser Frage gibt es bis heute keine Einigung unter den Fachleuten.

Der Tod von Jassir Arafat hat noch über Jahre Spekulationen ausgelöst. Woran war der Palästinenserführer gestorben? War er ermordet worden? Feinde hatte er genug in Israel - aber auch unter den Palästinensern selbst.

Im Oktober 2004 war Arafat schwer erkrankt, Ende des Monats war er in ein Krankenhaus bei Paris gebracht worden, wo er am 3. November in ein Koma fiel. Am 11. November wurde er schließlich für tot erklärt. Eine Autopsie fand nicht statt. Und schnell kursierten Gerüchte über die Todesursache - angeheizt durch die Entscheidung der palästinensischen Behörden, seine Krankenakten zurückzuhalten.

Als die Unterlagen 2005 veröffentlicht wurden, stellte sich heraus, dass die französischen Ärzte sich nicht auf eine Todesursache hatten einigen können. Es gab lediglich Vermutungen über einen Schlaganfall. Später wurde erwogen, dass er an einer Vergiftung, einer Infektion - eventuell sogar mit HIV - gelitten haben könnte.

Und es begann eine Diskussion um eine mögliche Vergiftung des Palästinenserpräsidenten. Beweise waren nicht zu finden.

Arafats Witwe Suha at-Tawil überließ Gegenstände ihres toten Mannes dem Sender Al Jazeera, darunter Kleidungsstücke und eine Zahnbürste. Im Juli 2012 veröffentlichte der Sender die Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts für Strahlenphysik der Universität von Lausanne, Schweiz, dem er die Sachen zur Untersuchung übergeben hatten. Die Experten dort hatten daran ungewöhnlich große Mengen von hochgiftigem Polonium 210 entdeckt. Zugleich wiesen die Fachleute darauf hin, dass Arafat aber keine Symptome für eine Vergiftung mit dem radioaktiven Element gezeigt hatte.

Wie eine solche Vergiftung sich auswirken kann, hatte einige Jahre zuvor der Fall Litwinenko gezeigt. Am 23. November 2006 war Alexander Walterowitsch Litwinenko in einem Londoner Krankenhaus an einer Strahlenkrankheit gestorben, die Polonium in seinem Körper verursacht hatte. Der russische Ex-Spion war vermutlich mit einem vergifteten Tee umgebracht worden.

Bei Arafat fehlten nun einerseits die Symptome wie etwa Haarausfall. Auf der anderen Seite gab es jedoch nun konkrete Hinweise auf das hochgiftige Element, das in London bereits als Mordwerkzeug verwendet worden war.

Suha at-Tawil forderte daraufhin eine Untersuchung des Leichnams. Im November 2012 fand die Exhumierung statt. Wissenschaftlerteams aus der Schweiz, Frankreich und Russland bekamen die Gelegenheit, Proben zu nehmen. Ein Jahr später gaben die Experten des Instituts für Strahlenphysik in Lausanne ihre Ergebnisse bekannt. Demnach fanden sie in den Knochen des Toten Polonium in einer Menge, die 18 Mal größer war, als es gewöhnlich der Fall ist. Den Fachleuten zufolge wurde die Annahme, dass eine Vergiftung vorlag, durch die Daten zwar nicht "stark", aber immerhin "mäßig gestützt". Wieso Arafat jedoch nicht die entsprechenden Symptome gezeigt hatte, blieb offen.

Uneinigkeit unter den Experten

Die französischen und russischen Fachleute allerdings kamen offenbar zu einem völlig anderen Schluss. So erklärte Wladimir Uiba, Chef der Russischen medizinisch-biologischen Bundesbehörde (FMBA), es wären keine Hinweise auf eine Polonium-Vergiftung gefunden worden. Al Jazeera berichtete allerdings später, die Russen hätten lediglich vier von 20 Proben untersucht - und zwar solche, bei denen die Wahrscheinlichkeit, Polonium zu finden, von vorn herein nur klein gewesen sei. Der Bericht wurde dem russischen Außenministerium übergeben, offizielle Erklärungen gab es nicht.

Die von der Staatsanwaltschaft im französischen Nanterre beauftragten Spezialisten fanden in den Proben aus Arafats Körper ebenfalls keine Bestätigung des Verdachts ihrer Schweizer Kollegen. Sie gingen von einer natürlichen Todesursache aus und führten die Poloniumspuren auf Radon zurück. Dieses radioaktive Gas kommt in der Natur vor und zerfällt unter anderem in Poloniumisotope. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden allerdings nicht veröffentlicht. Vielmehr wurden sie von einem anonymen Informanten an die Presseagentur AFP verraten. Arafats Witwe, die den Bericht erhalten hatte, bestätigte dessen Aussage im Dezember 2013. Sie kritisierte, dass die Schweizer davon ausgingen, Polonium aus Arafats Körper hätte die Umgebung des Leichnams kontaminiert, während die Franzosen annahmen, das Element sei aus der Umgebung in den Körper des Toten geraten.

Was ist Polonium 210?

Polonium (Abkürzung Po, Ordnungszahl 84) ist ein silbriges Metall, das Tellur und Wismut ähnelt. In der Natur entsteht es beim Zerfall von Uran. In der Zerfallsreihe stehen vor dem Polonium noch Radium und Radon. Bekannte Isotope sind jene mit dem Atomgewicht 208, 209 und 210.

Es handelt sich um einen sogenannten Alphastrahler. Das bedeutet, seine Strahlung - es handelt sich um Alphateilchen, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen bestehen - hat im Gewebe eine geringe Reichweite von weniger als 0,1 Millimeter und dringt demnach von außen kaum in die Haut ein.

Gefährlich wird es jedoch, wenn die Isotope über die Nahrung, über Wunden oder Rauch in den Körper aufgenommen werden. Dann wirkt es als starkes Gift. Für reines Polonium 210 etwa ist eine Menge von 0,1 Mikrogramm im Körper innerhalb von Tagen tödlich.

Im Menschen liegt die biologische Halbwertszeit bei 30 bis 50 Tagen. Das Polonium wird zu 90 Prozent über den Verdauungstrakt und den Urin ausgeschieden. Hier lässt sich eine Vergiftung wie im Fall Litwinenko nachweisen.

Polonium wird nur in geringen Mengen künstlich hergestellt. Es wird für Atomwaffen als Neutronenquelle genutzt, kommt aber auch in der Raumfahrt als Wärmequelle zum Einsatz.

Das Element wurde 1897 von Marie und Pierre Curie entdeckt, die es nach ihrem Heimatland Polen benannten.

(Ein Teil dieses Textes wurde bereits 2012 veröffentlicht.)

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