Anti-Islam-Bewegung "Pegida":Vaterländische Abschotter

Breites Bündnis gegen Pegida Demonstration

Wollen das Abendland retten: die Initiatoren des "Pegida"-Bündnisses.

(Foto: dpa)

Das christliche Abendland wollen sie schützen, sagen die Aktivisten von "Pegida". Doch das ist längst mit dem islamischen Morgenland verwoben. "Pegida" verschließt sich mit seiner geistigen Schutzzollpolitik vor der Wirklichkeit.

Kommentar von Kurt Kister

Einer geht immer: Goethe. Mit Goethe kann man Linken und Rechten und sogar der einen oder anderen Dumpfbacke kommen. Johann Wolfgang von Goethe hat schon 1819 im West-östlichen Divan geschrieben: "Wer sich selbst und andere kennt, / wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / sind nicht mehr zu trennen."

Der Okzident ist das Abendland, und weil der überaus deutsche Dichterfürst schon vor zweihundert Jahren wusste, dass sich Abendland und Morgenland gegenseitig bedingen, würde er heute wohl als Redner auf einer Demonstration gegen die Pegida auftreten. Zwar war Goethe ein Mann, der andere Meinungen gelten ließ, aber er war wenig gnädig mit Obskurantisten und Kleingeistern.

"Pegida" steht für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Man sollte die Demonstranten, die sich vor allem in Dresden unter diesem Motto regelmäßig zusammenfinden, ernst nehmen, weil sie mittlerweile mehr als ein Phänomen sind. Weder sind sie "Neonazis in Nadelstreifen", wie es hieß, noch sind sie eine neue Volksbewegung. Aber sie geben jenen Empfindungen Ausdruck, die sich immer wieder in manchmal eher links wirkenden, manchmal genuin rechten, oft kurzlebigen Initiativen niederschlagen: Man ist irgendwie gegen die Herrschenden, gegen das System, gegen die Parteien, gegen Eliten jeder Art, weil man sich von denen belogen und ausgenutzt fühlt. Man kennt seine Feinde und benutzt ein Arsenal einschlägiger Begriffe, die Distanz zu den anderen und Nähe zu den Gleichgesinnten schaffen.

Aus selbst gewählten Namen lässt sich oft vieles schließen. "Patriotische Europäer" klingt wie ein Widerspruch in sich, weil die patria, das Vaterland, anders als Europa eben kein offener Raum ist, sondern durch familiäre und engere kulturelle Herkunft bestimmt wird. Vaterländer grenzen sich gegeneinander ab. Der Patriot muss nicht unbedingt Nationalist sein, aber jeder Nationalist ist auch Patriot.

Europa kann ein Versprechen und die Zukunft sein

Mit dem europäischen Patriotismus in Deutschland ist das so eine Sache. Von den Wilhelministen über die Rechten in der Weimarer Republik bis hin zu einem Teil der Nazis gab es in hiesigen vaterländischen Kreisen stets auch einen europäischen Strang: Man labte sich an dem durch Karl den Großen, nicht etwa Charlemagne, begründeten Europa deutscher Provenienz und verehrte Salier- und Stauferkaiser als große, deutsche Europäer. Europa kann ein Versprechen und die Zukunft sein. Wem aber Europa nicht mehr ist als eine Chiffre für jene in zwei Kriegen zuschanden gerittenen, vermeintlichen nationalen Werte, dem ist Europa nichts.

Nicht weniger interessant ist das Abendland. Einerseits benutzte man diesen heute altväterlichen Begriff auch als Abgrenzung zum zunächst byzantinisch-orthodoxen, später islamischen Morgenland. Andererseits wurde das Abendland gerade von den alten patriotischen Europäern als ein freundliches aliud, ein nahes Anderes, zum Morgenland verstanden. In der Person des Stauferkaisers Friedrich II., des Mannes aus Apulien, verbanden sich christliches Abendland und islamisches Morgenland aufs trefflichste. Gerade die Geschichte des Mittelmeerraums zeigt, dass sich in Europa Morgenland und Abendland bis zum Identitätsaustausch vermischt haben.

Wer seine kleine Welt vor der Wirklichkeit verschließen will, mag es versuchen. Aber er sollte sich bei dieser geistigen Schutzzollpolitik nicht auf das Abendland berufen. Statt Pegida müsste es Vagawaiai heißen - "vaterländische Abschotter gegen alles, was anders ist als ich".

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