Anschlag in Nizza:Der Terror kann uns schlagen - besiegen kann er uns nicht

The Senate building is lit up in blue, white and red, the colors of the French flag in Mexico City

The Senatsgebäude in Mexiko-Stadt leuchtet am Abend des 14. Juli in den Farben Frankreichs.

(Foto: REUTERS)

Ausnahmezustand, schärfere Gesetze, wachsame Geheimdienste: All das hilft kaum gegen Terroristen, die zum eigenen Tod bereit sind. Aber man kann ihnen ihre Wirkung nehmen.

Kommentar von Stefan Ulrich

Terror ist mehr als nur Gewalt, Gewalt gegen Unschuldige, mörderische Gewalt gegen möglichst viele Menschen. Zur Gewalt kommt die Überraschung hinzu, das macht den Terror so überwältigend. Er schlägt zu, wenn man nicht damit rechnet, und schafft ein Klima der Verunsicherung, des Generalverdachts, des permanenten Ausnahmezustands. Eine gefestigte Gesellschaft wie die französische kann dies aushalten. Das Kalkül der Terroristen ist: Irgendwann wird ein Land mürbe, resigniert, verfällt in Anarchie, sucht Zuflucht im autoritären Sicherheitsstaat oder schlägt wild nach außen um sich.

Was wird aus Frankreich? Wer auch immer hinter dem Massenmord auf der Meerespromenade von Nizza steckt, ein Umnachteter, ein kalt kalkulierender Einzeltäter oder eine Organisation wie der teuflische "Islamische Staat" - er hat dem Terror einen grauenerregenden Dienst geleistet. Die Franzosen haben mit einem Anschlag gerechnet, während der Fußballeuropameisterschaft. Viele fragten sich unter dem Eindruck der Bluttaten vom vergangenen Jahr, wie sich denn all die Stadien im Land, vor allem aber die Fanmeilen in Paris, Marseille und anderen Städten schützen ließen. Dann ging alles gut. Die Menschen im Land atmeten auf, das aus vielen Gründen demoralisierte Frankreich schöpfte aus dem Fußballfest Zuversicht. Und genau dann schlug der Terror wieder zu.

Die Sicherheitsgesetze wurden verschärft, viel mehr gibt der Rechtsstaat nicht her

Das Massaker von Nizza am Nationalfeiertag auf der legendären Promenade des Anglais, die für das schöne, leichte Sommerleben steht, erschüttert die Republik bis ins Mark. Anstatt den 14. Juli, den Tag der Großen Revolution, mit Champagner und Feuerwerk ausklingen zu lassen, mussten mindestens 80 Menschen unter vielfach qualvollen Umständen sterben. Und dieses Teufelswerk bedurfte nicht einmal eines komplizierten Terrorplans. Es reichte ein Lastwagen und ein Mensch, der bereit war, selbst in den Tod zu gehen, um möglichst viel Leben zu zerstören.

Frankreich wird sich, nach Schock, Wut und Trauer, fragen, was es eigentlich noch tun kann gegen diese vernichtenden Schläge aus heiterem Himmel. Es herrscht schon seit Monaten der Ausnahmezustand. Die Sicherheitsgesetze wurden verschärft, viel mehr gibt ein Rechtsstaat nicht her. Soldaten mit Sturmgewehren patrouillieren überall im Land und unterstützen die Polizei. Die französischen Geheimdienste - und es sind nicht die schlechtesten - arbeiten längst am Limit. Die Bürger sind wachsam, soweit man dies permanent sein kann. Was also soll Frankreich noch tun?

Ein kleiner Trost an diesem düsteren Freitag: Präsident François Hollande, der im Alltag blass und entscheidungsschwach wirkt, hat bewiesen, dass er in Stunden der Not über sich hinauswächst. Nach den Terroranschlägen von 2015 gab er den Bürgern durch ruhiges und entschlossenes Auftreten Halt. Er wird dies auch jetzt wieder tun. Sein Premier Manuel Valls ist ein harter Mann, der seine Erfahrungen als früherer Innenminister mitbringt. Und die Franzosen als Volk könnten im Ausnahmezustand wieder zu ihrer Fraternité, ihrer Brüderlichkeit finden, die sie sonst oft vermissen.

Man muss das Kalkül der Terroristen durchkreuzen

Präsident Hollande hat jetzt den Ausnahmezustand verlängert. Seine Regierung kündigt an, sich nicht vom Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien und anderen Ländern abbringen zu lassen. Das ist fürs Erste die notwendige Antwort.

Aber dann? Dann kommt es darauf an, das Kalkül der Terroristen zu durchkreuzen: indem der Rechtsstaat weiter das Recht hochhält, und nicht zum autoritären Staat verkommt; indem die Bürger versuchen, ihr normales Leben so gut es geht weiterzuleben; indem Millionen gläubiger Muslime im Land geachtet und nicht pauschal verdächtigt werden, Anhänger des in Wahrheit antimuslimischen "Islamischen Staates" zu sein. Denn wer einem Gott huldigt, der angeblich solche Taten fordert, verehrt in Wahrheit einen Teufel.

Zum eigenen Tod bereite Terroristen lassen sich auch vom fähigsten Staat kaum stoppen. Das zeigt jetzt wieder das Blutbad in Nizza. Aber die Franzosen, und alle, die mit ihnen fühlen, können dem Terror einen Teil seiner Wirkung nehmen, indem sie hartnäckig an ihrem zivilen Leben und an ihrem Modell einer wehrhaften, aber offenen und toleranten Gesellschaft festhalten. Der Terror kann eine solche Gesellschaft schlagen. Besiegen kann er sie nicht.

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