Angriff auf Henriette Reker:Der Reker-Attentäter - rechthaberisch, aber kein Fanatiker

Angriff auf Henriette Reker: Frank S. (rechts) vor der Urteilsverkündung im Gericht in Düsseldorf.

Frank S. (rechts) vor der Urteilsverkündung im Gericht in Düsseldorf.

(Foto: AFP)
  • Der Reker-Attentäter Frank S. muss wegen Mordversuchs und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung 14 Jahre in Haft.
  • Die Richterin sagt, der Täter habe ein Klima der Angst schaffen und Politiker dazu drängen wollen, ihre Flüchtlingspolitik zu ändern.
  • Anders als die Bundesanwaltschaft kann das Gericht keine niedrigen Beweggründe erkennen.

Von Annette Ramelsberger

Eines war der Richterin besonders wichtig: Dies sei kein politischer Prozess gewesen, die Politik habe darauf keinen Einfluss genommen und auch die Prominenz des Opfers habe sich nicht auf das Verfahren ausgewirkt.

Das Opfer, das ist die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die einen Tag vor ihrer Wahl im Oktober 2015 vom Angeklagten Frank S. niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden war. Eine Tat, die geeignet war, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen und den demokratischen Willensbildungsprozess zu verhindern, erklärte die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf Barbara Havliza.

Sie verurteilte den 45 Jahre alten Angeklagten wegen Mordversuchs an Reker und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung an ihrem Wahlkampfleiter und drei anderen Politikerinnen zu 14 Jahren Haft. Er nahm den Urteilsspruch mit verschränkten Armen und rotem Kopf, aber regungslos auf. Am Ende sagte er nur: "Ich habe ja schon angekündigt, dass ich in Revision gehe."

Frank S. habe versucht, ein Klima der Angst zu schaffen

Richterin Havliza erklärte, das Attentat sei eindeutig ein Mordversuch gewesen - das hatte der Angeklagte bis zuletzt bestritten. Und die Richterin erklärte auch, Frank S. habe versucht, durch den Anschlag ein Klima der Angst zu schaffen und dadurch die Politiker zu drängen, ihre Flüchtlingspolitik zu ändern. Der Messerangriff auf Henriette Reker sei der "Höhepunkt einer bundesweiten Welle von Straftaten gegen Flüchtlingsheime und gegen Menschen gewesen, die Flüchtlingen helfen". Reker war als Sozialdezernentin für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig.

Der Angeklagte könne sich bei seiner Tat nicht auf ein Widerstandsrecht berufen, wonach er berechtigt sei, sich gegen die Abschaffung der demokratischen Grundordnung zu wehren - so wie er es im Prozess immer wieder erklärt hatte: Er müsse sich gegen die Diktatur von Angela Merkel wehren. Das sei abwegig, erklärte Havliza.

Anders als die Bundesanwaltschaft sah das Gericht in dem Mordversuch aber keine niedrigen Beweggründe. Der Angeklagte habe dabei keine egoistischen Motive wie Habgier und Mordlust verfolgt. Das Gericht sah in dem Angeklagten sehr viel mehr als die Bundesanwaltschaft einen kranken, denn einen politisch fanatischen Menschen. Er habe keine persönlichen Vorteile aus der Tat erzielen wollen, sagte Havliza. Er sei in den letzten zwei Jahren stark isoliert gewesen und habe sich auf Internetseiten bewegt, die durch Verschwörungstheorien die Ängste der Menschen schürten. Er sei wegen seiner narzisstischen und paranoiden Persönlichkeitsstörung dafür besonders empfänglich gewesen. "Dabei verkennt der Senat nicht, dass im Einzelfall auch politische Beweggründe ein niedriges Motiv sein können", sagte Havliza.

"Ich habe es für euch getan und eure Kinder"

Frank S., der in seiner Jugend als Rechtsradikaler bei den Bonner "Berserkern" aktiv war und sich nun als "wertkonservativer Rebell" bezeichnet, hatte erklärt, er habe mit dem Angriff auf Henriette Reker ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung setzen wollen. "Es geht um die Selbstverstümmelung Deutschlands", sagte er im Prozess. Direkt nach der Tat hatte er den Umstehenden zugerufen: "Ich habe es für euch getan und eure Kinder."

Die Bundesanwaltschaft hatte die Ermittlungen zu dem Mordanschlag an sich gezogen, weil sie darin einen Anschlag auf die Grundfesten des Staates sah, und in ihrem Plädoyer eine lebenslange Haft für Frank S. gefordert. Der Verteidiger, mit dem sich Frank S. zerstritten hatte, plädierte für eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe. Die Bundesanwaltschaft erklärte, sie sehe hinter der Tat ganz klar einen niedrigen Beweggrund. Sie überlegt nun, wie sie auf das Urteil reagiert.

Das Gericht habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, ob Frank S. lebenslang ins Gefängnis muss, sagte Havliza, aber dann doch eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe verhängt. Das Gericht bezeichnete den Angeklagten als Menschen, der sich ständig benachteiligt fühle und der stets rechthaberisch auftrete. Bis zum Schluss hatte der alles, was gegen ihn sprach, als "manipulierte Beweise", "lügende Zeugen" und "gefälschte Gutachten" abgetan. Und bis zum Schluss bestand er darauf, dass er die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker nicht töten wollte - obwohl er ihr mit einem 30 Zentimeter langen Rambo-Messer direkt in den Hals stach. Mit solcher Wucht, dass er ihr die Luftröhre durchtrennte und sogar ein Halswirbel zersplitterte.

Das Gericht hielt dem Angeklagten sein Geständnis zugute

Das Gericht beschrieb genau die Situation, in der das Attentat stattfand. Reker stand morgens um 9 Uhr auf einem Wochenmarkt und verteilte Rosen an interessierte Bürger. "Der Angeklagte erkannte, dass die Gelegenheit für ihn günstig war", erklärte Havliza. "Die Zeugin Reker schöpfte keinerlei Verdacht und reichte ihm eine Rose. Der 186 Zentimeter große und 93 Kilogramm schwere Angeklagte versetzte ihr mit einer schnellen, kraftvollen Armbewegung einen wuchtigen Stich in den Hals. Die Zeugin hatte keine Möglichkeit sich zu wehren. Die Klinge drang zehn Zentimeter tief in den Hals ein."

Reker steckte danach ihren Finger in die Wunde und blieb in stabiler Seitenlage auf dem Boden. "Sie blieb regungslos quasi wie tot liegen auf den herunterfallenden Rosen. Der Zeuge nahm an, dieser Stich sei tödlich." Und dann stach Frank S. auch noch auf die anderen um ihn stehenden Menschen ein, obwohl nach Überzeugung des Gerichts keinerlei Gefahr von ihnen für ihn ausging. Frank S. hatte vor Gericht erklärt, ein wütender "Mob" habe ihn lynchen wollen. Darauf gebe es keinerlei Hinweise, erklärte die Richterin. Aber das Gericht ging nicht davon aus, dass der Angeklagte die Umstehenden töten wollte.

Das Gericht hielt ihm zugute, dass er ein Geständnis abgelegt hat, und es stellte seine Persönlichkeitsstörung in den Vordergrund. Der Angeklagte sei sozial isoliert gewesen und habe dadurch ein verzerrtes Weltbild entwickelt. Frank S. war in der Kindheit von seinen Eltern verlassen worden und in eine Pflegefamilie gekommen. Er hat in seiner frühesten Kindheit laut dem Psychiatrischen Gutachter Norbert Leygraf eine schwere paranoide und narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt. Gleichwohl war er bei der Tat voll schuldfähig.

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