Algerien und Libyens Übergangsregierung:Auf schlechte Nachbarschaft

Mit der Aufnahme von Gaddafis Sippe provoziert Algerien die neue Übergangsregierung in Libyen. Die Rebellen schimpfen in Richtung Algier und danken einem anderen Nachbarland: Sie räumen ein, dass neben der Nato auch der Sudan im Kampf gegen Gaddafi half - das Regime des mutmaßlichen Völkermörders Omar al-Baschir.

Rudolph Chimelli

Gut waren die Beziehungen zwischen Algerien und dem neuen Regime in Libyen schon bisher nicht. Seit aber die Frau des gestürzten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi samt ihrer Tochter, zwei Söhnen und mehreren Enkeln nach Algerien geflohen war, ist das nachbarschaftliche Verhältnis an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Libyen hat am Dienstag seine Wüstengrenze zu Algerien geschlossen. Die Aufnahme der Gaddafi-Sippe bewerten die Rebellen als feindseligen Akt, denn sie wollen die Geflohenen mindestens wegen Korruption vor Gericht stellen.

Rebellen Tripolis Gaddafi

Neue Fahne, neue Machtverhältnisse: Libyscher Rebell an einem Checkpoint der Anti-Gaddafi-Kämpfer in der Hauptstadt Tripolis.

(Foto: dpa)

"Humanitäre Gründe" nennt das algerische Innenministerium, warum man Gaddafis Ehefrau Saifa, Tochter Aischa - die im Exil ein Mädchen zur Welt gebracht hat -, den für seine Skandale in Europa berüchtigten Sohn Hannibal und den politisch bedeutungslosen Mohammed aufgenommen hat. Sie sollen sich in einem gesicherten Haus in der Hauptstadt Algier befinden.

Obwohl sich Algerien grundsätzlich als Transitland für ihre Weiterreise in ein drittes Land versteht, können sie beliebig lange bleiben. Das bringt die libyschen Rebellen gegen den Nachbarstaat auf: "Bouteflika braucht uns nicht persönlich anzuerkennen", wetterte in Bengasi der militärische Sprecher der Rebellen, Oberst Ahmed Omar Bani, gegen den Präsidenten Algeriens. "Uns genügt, dass uns das große algerische Volk anerkennt und sich an uns ein Beispiel nimmt."

Algier erkennt den Übergangsrat und die provisorische Regierung Libyens nicht an. Das soll erst geschehen, wenn der Rat glaubhaft machen kann, dass er entschlossen gegen den Erzfeind des algerischen Regimes, die Maghreb-Qaida, kämpft - so wie das Gaddafi getan hat. Einige der islamistischen Kampfgruppen, die entscheidend zum Sieg der Rebellen beitrugen, haben nach Auffassung Algiers dieselben politischen Ziele wie al-Qaida, auch wenn sie sich organisatorisch von ihr getrennt haben.

Das gelte für den "Kommandeur des Militärrates von Tripolis", Abdul Hakim Belhadj, aber nicht für ihn allein. Er gründete einst gegen Gaddafi die Libysche Islamische Kampfgruppe LIFG, war Afghanistan-Kämpfer, wurde von der CIA gefangen und später nach Libyen ausgeliefert. Unter dem Versöhnungsprogramm des untergetauchten Gaddafi-Sohns Saif al-Islam handelte er im Gefängnis die Freilassung von verhafteten Gesinnungsgenossen aus und wurde selber im März 2010 aus der Haft entlassen. Heute gehört Belhadj zur Islamischen Bewegung Libyens für Veränderung, die dem Übergangsrat angehört.

Immer mehr Rache-Tötungen

Während des Bürgerkriegs hat Algier stets seine strikte Neutralität betont. Gestützt auf westliche Geheimdienstberichte beschuldigte die Rebellenregierung die Algerier jedoch immer wieder der heimlichen Unterstützung Gaddafis. Am Anfang der Kämpfe war von Missionen algerischer Kampfflugzeuge ohne Hoheitsabzeichen die Rede. Nachdem der Sicherheitsrat eine Flugverbotszone verhängt hatte, gab es Berichte von Waffenlieferungen aus Algerien.

Ein zusätzliches Indiz für die Parteinahme Algiers ergab sich bei der Einnahme von Gaddafis Hauptquartier Bab al-Asisija in Tripolis. Dabei nahmen die Rebellen mehr als 400 Kämpfer der "Polisario-Befreiungsfront für die West-Sahara" gefangen. Die Front hat ihre Lager auf algerischem Territorium und ihre Truppen wurde offenbar an Gaddafi ausgeliehen.

Auch die Organisation für Afrikanische Einheit erkennt den Übergangsrat nicht an, aber aus ganz anderen Gründen: Sie warf den Rebellen vor, dass sie unterschiedslos schwarze Afrikaner verhafteten und als angebliche Söldner Gaddafis umbrächten. Entsprechendes berichteten auch die Washington Post unter dem Titel "Rache-Tötungen in Libyen nehmen zu" und der britische Independent.

Diana Eltahawy von Amnesty International beschreibt "eine Folge von Misshandlungen, Folter und außergerichtliche Tötungen gefangener Gaddafi-Kämpfer, welche die Rebellen vom Osten bis nach Westen begleiteten, während sie das Land eroberten".

Die Rebellen wiederum wurden von Sudan unterstützt, wie sich nun herausstellt. Der Chef des Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschalil, erhielt am Wochenende Besuch vom sudanesischen Außenminister Ali Ahmed Karti, der ihm eine Botschaft von Präsident Omar al-Baschir überbrachte. "Es ist Zeit bekanntzugeben, dass Sudan den Revolutionären militärische Hilfe geleistet hat", sagte Dschalil anschließend.

Die Hilfe bestand vor allem in der Eroberung der Kufra-Oasen im äußersten Süden Libyens. Sudan hatte Gaddafi immer verübelt, dass er seinerseits die Rebellen von Darfur unterstützte.

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