Ägypten und die Staatssicherheit:Abgehört, unterwandert, gefoltert

Lesezeit: 3 min

Brutalität, Bestechnung, Günstlingswirtschaft und Spitzel in allen Gesellschaftsschichten: In Ägypten werden schockierende Dokumente der Staatssicherheit veröffentlicht.

Christiane Schlötzer

"Wie geht es dir, Mutter?" So beginnt ein scheinbar harmloses Telefonat. Die ägyptische Staatssicherheit aber war mit am Draht, wie einst die Stasi in der DDR, sie zeichnete auch Privatestes auf, Gespräche zwischen geschiedenen Eheleuten, das Liebesgeflüster einer kuwaitischen Prinzessin mit einem ägyptischen Geschäftsmann. Und sie tippte das Gehörte fleißig aufs Papier, belauschte Oppositionelle, Künstler, Richter, Islamisten, Christen, Studenten, Gewerkschafter. Vieles davon ist schon verbrannt, geschreddert, zu Konfetti verwandelt, weil die Leute der Staatssicherheit, der Amnal-Dawla, vielerorts schneller und besser organisiert waren als die ägyptische Demokratiebewegung.

Dokumente einer dunklen Vergangenheit: In Kairo durchforstet ein Mann die Aktenschränke im Geheimdienstgebäude. (Foto: REUTERS)

Doch was übrig ist von den Stasi-Papieren, hat immer noch die Kraft, Ägypten zu erschüttern und vielen Menschen das letzte Vertrauen in das untergegangene Mubarak-Regime zu nehmen. Seit die jungen Aktivisten vor gut einer Woche damit begonnen haben, zuerst Büros der Staatssicherheit in Alexandria und dann in anderen Städten zu besetzen und Dokumente und Computerdateien in ihren Besitz zu bringen, füllt sich das Internet mit der Ausbeute und den Kommentaren zu den Enthüllungen.

Manche mögen gar nicht glauben, was sie da erfahren. Und bei einigen Papieren scheint auch Vorsicht geboten zu sein, schließlich ist deren Echtheit nicht zweifelsfrei bewiesen. Viele sind an den Innenminister adressiert und von einem seiner zahlreichen Stellvertreter unterzeichnet, tragen Stempel und Signaturen. Die Aufzeichnungen und was die Demonstranten sonst noch so fanden in den Stasi-Verliesen, bestätigen auch, was Regimekritiker und Menschenrechtsorganisationen seit langem beklagten: Dass Folter und brutale Behandlungen in Polizeihaft Alltag waren.

Auch über die Selbstbedienung des Regimes geben die Papiere Auskunft: über günstige Staatsgrundstücke für Günstlinge und allerlei Belohnungen für Liebedienerei. Zu Diensten waren auch bestimmte Kleriker. Die Zeitung Al Masry Al Youm berichtet, sie sei im Besitz eines Papiers, das zeige, wie ein sunnitischer Geistlicher, der eine Todesfatwa gegen Nobelpreisträger Mohammed ElBaradei aussprach, mit der ägyptischen Stasi zusammenarbeitete. Aus einem anderen Dokument, das auf Facebook zu finden ist, geht hervor, wie Richter oder Angestellte gezielt von Behörden in Bestechungsfälle verwickelt wurden, um sie loszuwerden.

Um die Sicherheit seiner Bürger kümmerte sich der ägyptische Polizeistaat nicht, aber um die Sicherheit des Regimes. Die Gefahr war größer, in die Hände der eigenen Polizei zu geraten und dabei Schaden zu nehmen, als tatsächlich Opfer von Terroranschlägen zu werden. Mit deren Abwehr aber begründete der Apparat seine Existenz, weshalb Angehörige des Dienstes auch an der FBI-Akademie in den USA trainieren durften.

100.000 Mitarbeiter

Rund 100.000 Menschen sollen für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Die Behörde unterstand dem Innenminister und damit zuletzt dem besonders verhassten und nun inhaftierten Habib al-Adli. Offenbar wurde modernste Technik verwendet. Sie diente auch dazu, SMS und Skype-Telefonate im Internet zu verfolgen. In Al Masry Al Youm schreibt der Autor Ahmed Zaki Osman: Die Stasi habe nach 2005, nach dem Aufkommen der Bewegung Kifaya ("Genug"), den Druck auf die Gesellschaft noch einmal erhöht - beispielsweise, in dem sie versuchte, Oppositionsparteien zu spalten und sich die Loyalität der Medien zu sichern.

Auch Gruppen der Salafisten und andere radikale islamistische Bewegungen sollen unterwandert worden sein. Dies führt zum womöglich dunkelsten Kapitel der Enthüllungen. Es wirkt so abenteuerlich, dass Zweifel an manchen Dokumenten angebracht sein müssen, zumal man sich fragt, welcher Sicherheitsapparat so etwas schriftlich niederlegen würde. Demnach gab es Planungen für Bombenanschläge, an denen Männer im Dienst der Polizei beteiligt waren. Sie betreffen die Explosion vor der koptischen Kirche in Alexandria in der Neujahrsnacht 2011, die 23 Menschenleben forderte, ebenso wie den Anschlag im Juli 2005 im Touristenort Scharm el-Scheich mit 88 Toten und etwa 200 Verletzten. "Äußerst geheim" steht über dem auch über Facebook veröffentlichten Dokument, das die Verschwörung von 2005 belegen soll. Für das Verbrechen wurde damals eine zuvor unbekannte Al-Qaida-Splittergruppe verantwortlich gemacht.

Die Aufarbeitung der Dokumente wird dauern. Der Schock über das dunkle Erbe der ägyptischen Autokratie aber ist so groß, so dass auch Oppositionelle zur Vorsicht mahnen, beispielsweise Listen mit Namen von Polizei-Informanten einfach zu verbreiten. Spitzel gab es offenbar in allen Gesellschaftsschichten, in der Muslimbruderschaft wie in der Koptischen Kirche. Der Oberste Militärrat, der Ägypten derzeit regiert, hat die Bürger gebeten, die Dokumente zurückzugeben, damit sie in die Hände der Justiz gelegt werden könnten. Am Dienstag ging die neue Regierung noch einen Schritt weiter: Die Staatssicherheitsbehörde wird aufgelöst.

© SZ vom 16.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: