Ägypten:20 Jahre Haft und schwere Arbeit

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Ein "Scheinprozess": Ägyptens Ex-Präsident Mursi und weitere Muslimbrüder werden zu hohen Strafen verurteilt.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Richter Ahmed Youssef kündigte ein langes Verdikt an, doch nach ein paar Minuten war die Urteilsverkündung in der Polizeiakademie am Stadtrand von Kairo vorüber. Für 20 Jahre soll Ägyptens Ex-Präsident Mohammed Mursi in Haft, es ist das erste Urteil gegen ihn. Die höchste Sicherheitsstufe und schwere Arbeit verhängte das Strafgericht gegen den Islamisten, der im Juli 2013 vom Militär gestürzt worden war. Von einem Todesurteil oder lebenslanger Haft, dem weithin erwarteten Richterspruch, blieben er und ein Dutzend weitere Angeklagte vorerst verschont. Das Gericht sprach sie von den schwersten Anklagepunkten frei. Die Staatsanwaltschaft hatte Mursi und einige seiner Mitangeklagten des Mordes, versuchten Mordes und der Anstiftung beschuldigt, zudem des illegalen Besitzes von Waffen und Munition.

In dem Prozess, der als wichtiges Signal für den Umgang mit den Muslimbrüdern gesehen wurde, ging es um den Tod von mindestens neun Demonstranten und einem Journalisten, die sich am 5. Dezember 2012 vor dem Präsidentenpalast Ittihadiya an einer Sitzblockade beteiligt hatten. Sie protestierten gegen ein Dekret Mursis, mit dem er sich über die Justiz stellte und damit seine Kompetenzen nochmals ausweitete, die damals schon Exekutive und Gesetzgebung umfassten. Das Parlament war per Gerichtsurteil aufgelöst worden. Laut der Anklage hatte Mursi der Präsidentengarde befohlen, die Blockade aufzulösen. Als die Demonstranten sich weigerten, habe der Ex-Präsident Hunderte Anhänger der Muslimbruderschaft und der mit ihr verbundenen Partei für Freiheit und Gerechtigkeit herbeigerufen. Diese seien über das Protest-Camp hergefallen und hätten Demonstranten festgehalten. Die Beschreibung des Hergangs deckt sich weitgehend mit den Erkenntnissen von Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch.

Mohammed Mursi hinter kugelsicherem Glas in der Polizeiakademie am Stadtrand von Kairo. Er erkenne das Gericht nicht an, hatte der Ex-Präsident betont. (Foto: Amr Nabil/AP)

Mursi wurde zusammen mit führenden Mitgliedern der inzwischen als Terror-Organisation eingestuften Muslimbruderschaft und der ebenfalls verbotenen Partei für Freiheit und Gerechtigkeit unter anderem wegen Körperverletzung, Folter, Freiheitsberaubung und Bedrohung schuldig gesprochen. 20 Jahre Haft erhielten auch Mohammed el-Beltagy, ein führender Funktionär der Bruderschaft und einstiger Generalsekretär der Partei, sowie Essam el-Erian, der stellvertretender Parteichef war.

Die Urteile der ersten Instanz sind noch nicht rechtskräftig. Ein Anwalt Mursis kündigte an, in Berufung zu gehen. Andere Mitglieder seines Verteidigungsteams wollten sich noch nicht festlegen. Sie sehen eine Anerkennung des Gerichtes darin, wenn sie Rechtsmittel einlegen. Mursi hatte während des Prozesses immer wieder betont, dass er sich weiter als legitimen Präsidenten Ägyptens betrachtet und das Gericht als illegitim abgelehnt. Die Generalstaatsanwaltschaft kündigte an, die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten.

Mursi ist in drei weiteren Verfahren unter anderem wegen Spionage für feindliche Mächte angeklagt und wegen Ausbruchs aus dem Gefängnis während der Revolte gegen seinen Vorgänger Hosni Mubarak im Jahr 2011. Dabei könnte er noch zum Tode verurteilt werden; Entscheidungen werden noch in diesem Jahr erwartet. Die Muslimbrüder warfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi vor, als "Chef des Putsches die Justiz als Waffe gegen die Volks- und Revolutionslegitimität" zu nutzen, die durch "Präsident Mursi" repräsentiert werde. Dieser hatte Mitte 2012 die ersten freien Präsidentenwahlen Ägyptens gewonnen. Nach Massenprotesten gegen seinen zunehmend autoritären Regierungsstil setzte ihn das Militär im Juli 2013 ab. Seitdem ist er in Haft. Zwar betonen Präsident Sisi wie auch seine Regierung immer wieder die Unabhängigkeit der Justiz. Doch Menschenrechtler kritisieren, dass viele der Verfahren gegen Anhänger der Muslimbruderschaft rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht ansatzweise genügen. In etlichen Prozessen verhängten Richter summarisch Todesurteile gegen Dutzende Angeklagte, ohne Beweismittel detailliert zu würdigen.

Amnesty International kritisierte das Verfahren gegen Mursi als "Scheinprozess". Ägyptens Strafgerichte seien offenbar "völlig unfähig, gerechte Verfahren gegen Mitglieder oder Unterstützer der Regierung des ehemaligen Präsidenten und der Muslimbruderschaft zu führen". Human Rights Watch erinnerte daran, dass zugleich die Räumung von zwei Protest-Camps der Muslimbrüder durch die Sicherheitskräfte im August 2013 mit Hunderten Toten ungesühnt bleibe.

Dagegen waren hochrangige Mitglieder der Bruderschaft, unter ihnen der geistliche Führer Mohammed Badie, wegen der Gewalt bei der Camp-Räumung zum Tode verurteilt worden. Die Urteile können vor dem Kassationsgericht, der obersten juristischen Instanz, angefochten werden. Mehr als 20 Angeklagte wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, unter ihnen Ex-Parteisprecher Gehad Haddad und der amerikanisch-ägyptische Aktivist Mohammed Soltan. Er sitzt seit August 2013 in Haft und protestiert dagegen mit einem Hungerstreik. Sein Vater Salah Soltan wurde zum Tode verurteilt.

© SZ vom 22.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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