Ägypten:Haft-Urteile im Akkord

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Kritik an der Staatsführung ist in Ägypten unerwünscht, ebenso Protest gegen den Präsidenten. 150 Ägypter wurden nun deshalb schuldig gesprochen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Sie heißen die "Straßenkinder" und sind eine Satiretruppe: Sechs Männer zwischen 19 und 25 Jahren alt, die sich auf den Straßen Kairos mit dem Handy filmen und lustig machen über die Zustände in Ägypten. Und über dessen Herrscher, Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Fünf der sechs sind nun in Haft. Ihre kurzen Videos waren wohl zu frech, zu populär. Hunderttausende Male wurden zwei Filme auf ihrer Facebook-Seite abgerufen, die sich mit der Übertragung der beiden Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien befassen - das Thema, das seit Mitte April Ägypten in Atem hält und zu den größten Protesten führte, seit Sisi sein Amt angetreten hat. Sie wurden zugleich zum Ventil für die Unzufriedenheit wegen der Wirtschaftsmisere, der Unterdrückung und dem autoritären Gebaren von Präsident und Regierung.

Mindestens 500 Menschen sind verhaftet worden, seit sich am 15. April Tausende Menschen vor dem Journalistensyndikat im Zentrum Kairos versammelt hatten, um gegen den Insel-Deal zu protestieren. Aktivisten haben nach eigenen Angaben sogar knapp 1300 Festnahmen dokumentiert. Manche Aktivisten wurden in den Tagen vor einer geplanten zweiten Demonstration willkürlich aus Straßencafés im Zentrum abgeführt.

Was jenen bevorsteht, gegen die der Staatsanwalt Anklage erhebt, ist nun am Samstag klar geworden. Mehr als 150 Menschen wurden im Zuge einer der größten Repressionswellen der vergangenen Jahre zu Haftstrafen zwischen zwei und fünf Jahren verurteilt, weil sie am 25. April, an einem weiteren Protest teilnehmen wollten. In beiden Fällen hatten die zumeist jungen Demonstranten Slogans gegen das Regime gerufen, blieben aber friedlich; am 25. April verhinderte die Polizei durch massive Präsenz in der Stadt, dass sich die Menschen versammeln konnten und lösten jeden Versuch von Protest binnen Minuten mit Tränengas und Schrotschüssen auf.

Die meisten Verurteilten wollen in Berufung gehen

Ein Anti-Terror-Sondergericht verurteilte 101 Angeklagte zu Haftstrafen von fünf Jahren, 79 bekamen zudem Geldstrafen von umgerechnet 10 000 Euro. Sie wurden für schuldig befunden, ohne Genehmigung demonstriert zu haben, die öffentliche Ordnung und Ruhe gestört zu haben und einer "terroristischen Organisation" beigetreten zu sein. Das ist die übliche Chiffre des Regimes für die verbotene Muslimbruderschaft. Die meisten der Verurteilten sind säkulare, teilweise linke Aktivisten. Das Regime hatte allerdings die Proteste als Versuch der Muslimbruderschaft diskreditiert, einen Umsturz anzuzetteln.

51 Angeklagte wurden von einem weitern Gericht zu zwei Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Ihnen wirft das Regime die Teilnahme an nicht genehmigten Protesten vor sowie Aufrufe zur Gewalt und zum Sturz der Regierung. In mehr als 80 weiteren Fällen hat die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben. Menschenrechtsanwälte rechnen mit mehr als 400 weiteren Verfahren. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig; die Anwälte der meisten Verurteilten haben angekündigt, Berufung einzulegen.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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