Weißer Ring:Missbrauchtes Vertrauen

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Der Weiße Ring als Organisation für Opferschutz hatte bislang einen tadellosen Ruf. Der bekommt nun Risse. (Foto: Jens Büttner/dpa)
  • Ein ehemaliger Mitarbeiter des Weißen Rings soll mehrere Frauen sexuell belästigt haben.
  • Nun ist der Ruf der Organisation in Gefahr, sie will Strafanzeige gegen den Mitarbeiter erstatten.
  • Dass es auch in Hilfsorganisationen zu sexuellen Übergriffen kommt, erklären Wissenschaftler damit, dass sich dort eine herablassende Einstellung gegenüber Frauen etabliert habe.

Von Anna Fischhaber, Oliver Klasen und Kerstin Lottritz

Es sind nicht mehr nur einzelne Hinweise, es ist ein Dossier von Vorwürfen, mit dem sich die Verantwortlichen in der Bundeszentrale des Weißen Rings konfrontiert sehen. Detlef Hardt, ein ehemaliger Mitarbeiter in der Außenstelle Lübeck, soll mehrere Frauen sexuell belästigt haben.

Zwölf mutmaßliche Opfer, so heißt es von Seiten der Organisation, hätten sich gemeldet. Sechs von ihnen haben Anzeige erstattet, wie die Staatsanwaltschaft Lübeck bestätigt. Der 73-Jährige, früher Polizeibeamter und nach der Pensionierung ehrenamtlich für den Weißen Ring tätig, soll sich vor einer der Frauen entblößt und weitere zu sexuellen Handlungen aufgefordert haben.

Der Verdächtige bestreitet alles und hat Anzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede erstattet. Die Vorwürfe seien "ehrverletzend und widerlich", sagte er der dpa.

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Bereits vor Jahren soll der frühere Leiter des Opferhilfevereins in Lübeck aufgefallen sein. Der Beschuldigte dementiert die Vorwürfe.

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Schon 2012, so berichten Lübecker Nachrichten und Spiegel, soll es Hinweise auf Fehlverhalten des Mannes in anderen Fällen gegeben haben, doch offenbar wurde ihnen nicht konsequent nachgegangen. "Ich schäme mich und ich bin wütend, richtig wütend", sagt Roswitha Müller-Piepenkötter, die Bundesvorsitzende des Weißen Rings am Montag auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. "Zögerlich und völlig unangemessen" habe der Landesverband in Schleswig-Holstein reagiert.

Der Fall sei in der Geschichte der Organisation beispiellos. In den vergangenen Jahren habe es bundesweit drei Vorwürfe von sexueller Belästigung gegeben. Allerdings seien die Mitarbeiter in diesen Fällen sofort abberufen worden, anders als in Lübeck. Dort war Hardt trotz der Vorwürfe bis Ende 2017 für den Weißen Ring tätig. "Der Imageschaden kann gar nicht ermessen werden", sagt Müller-Piepenkötter. Dass sie so vehement reagiert, liegt am Selbstverständnis des Vereins.

Til Schweiger, Heinz Rudolf Kunze oder Georg Hackl unterstützen die Organisation

Kriminalitätsopfern beistehen, die von Staat und Gesellschaft nicht genügend gehört werden, das war die Idee, als der Weiße Ring 1976 unter anderem von "Aktenzeichen xy"-Moderator Eduard Zimmermann gegründet wurde. Die Hilfe des Vereins ist vor allem für Betroffene wichtig, denen vom Täter Gewalt zugefügt wurde und die unter Schock stehen. Sie sind oft dankbar, dass sie sich beraten lassen können, ohne es sofort mit der Polizei zu tun zu bekommen. Zahlreiche Prominente wie Til Schweiger, Heinz Rudolf Kunze oder Georg Hackl unterstützen den Weißen Ring.

Doch jetzt ist der gute Ruf in Gefahr. Eilig reagiert die Organisation: Gegen Hardt werde man Strafanzeige erstatten, so Müller-Piepenkötter. Zudem berät der Vorstand über eine Änderung der Satzung, um in ähnlichen Fällen schneller reagieren zu können. Uwe Döring, Vorsitzender in Schleswig-Holstein, war bereits am Samstag zurückgetreten. Würde die Debatte um die Vorkommnisse beim Weißen Ring anders verlaufen, wenn es "Me Too" nicht gegeben hätte? Seit fast einem halben Jahr erheben Frauen ihre Stimme, nennen Namen und prangern sexistische Strukturen an. Auch mehrere Hilfsorganisationen wurden von der Debatte erfasst. Bei Ärzte ohne Grenzen, Plan international und Oxfam sind mehrere Fälle sexuellen Missbrauchs dokumentiert. Stets sah sich die Spitze der Organisation mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht rechtzeitig eingeschritten zu sein.

"Bei Hilfsorganisationen ist es besonders skandalös, wenn so etwas herauskommt", sagt Wenzel Michalski, der das Deutschland-Büro von Human Rights Watch leitet. Seine Organisation habe vor einigen Jahren Kritik an den Vereinten Nationen geübt, weil diese einen Fall von sexueller Gewalt bei Blauhelm-Truppen vertuschen wollten und den Whistleblower feuerten. Inzwischen habe die UNO Beschwerdemöglichkeiten eingeführt. "Solche Monitoring-Stellen brauchen wir überall - egal, ob das nun der Reifenhändler von nebenan ist oder die Hilfsorganisation", sagt Michalski. Bei Human Rights Watch gebe es so eine Arbeitsgruppe bereits. "Gerade haben wir uns von einem wichtigen Geldgeber getrennt, weil er bei einem Treffen mit einer Mitarbeiterin übergriffig wurde."

"Wem kann ich eigentlich noch vertrauen?"

Einer Studie der Tufts University in Boston zufolge kommt es häufig vor, dass Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sexuelle Übergriffe begehen. Die Wissenschaftler machen dafür die Strukturen in den Organisationen verantwortlich, in denen oftmals eher Männer in Führungspositionen seien und sich eine herablassende Einstellung gegenüber Frauen etabliert habe.

"Hilfsorganisationen werden gerne als Organisationen von Gutmenschen abgetan, aber das heißt ja nicht, dass sie unfehlbar sind. Im Gegenteil: Pädosexuelle etwa nutzen Kinderhilfsorganisationen immer wieder, um Zugang zu Minderjährigen zu bekommen", sagt Dorothea Czarnecki von ECPAT Deutschland. Der Verein schützt Kinder vor sexueller Ausbeutung und berät Organisationen bei der Entwicklung von Schutzmaßnahmen gegen Übergriffe im eigenen Haus.

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"Wenn präventiv keine standardisierten Abläufe implementiert wurden, ist die Panik bei einem Vorfall groß. Und dann wird oft erst einmal alles unter den Tisch gekehrt - in Hollywood, und eben auch bei NGOs." Wobei es natürlich um vieles dramatischer sei, sagt Czarnecki, wenn Gewaltopfer bei einer Hilfsorganisation erneut zu Opfern würden. "Sie fragen sich dann zu Recht: "Wem kann ich eigentlich noch vertrauen?"

© SZ vom 20.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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