Warmes Winterwetter:Hot Spot Deutschland

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Kaum Schneeflocken und rekordverdächtige Plusgrade: Der Jahresbeginn bringt erste Blüten hervor und treibt manche Menschen sogar zum Baden. Von Winter ist auch in den nächsten Tagen keine Spur, dafür aber zieht Sturm auf.

Zumindest in Baden-Baden konnte die warme Winterjacke am Neujahrstag im Schrank bleiben: 14,6 Grad wurden dort gemessen - deutschlandweit der höchste Wert, sagt Christel Postuwka-Schluck vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Milder war es an Neujahr demnach mit jeweils 15 Grad nur 2007 in Stuttgart und 1921 in München.

Milde Temperaturen zum Jahreswechsel
:Die Gänseblümchen sprießen schon

Das Jahr hat in Deutschland mancherorts mit fast 15 Grad begonnen - außergewöhnlich mild. Nun sprießen Blumen und Regen statt Schnee dominiert die Szenerie. Die Bilder.

Zu den Hot Spots dieses Winters gehörte am Neujahrstag auch das nördliche Rheinland-Pfalz: In Andernach und Bad Neuenahr kletterten die Temperaturen auf jeweils 14,2 Grad. Laut DWD ist dies ein Neujahrs-Temperatur-Rekord für diese Region. Der bisherige Neujahrs-Höchstwert für Bad Neuenahr war 2007 mit 13,4 Grad registriert worden. Auch in Hamburg und Bremen gab es Höchstwerte bei gut elf Plus-Graden.

Felix Grützmacher vom Naturschutzbund Deutschland sieht durch die hohen Temperaturen "weniger Kältestress" für Tiere, aber auch einige Turbulenzen in deren Bio-Rhythmus: "Ganz verrückt ist, dass manche Vögel, wie die Kohlmeise und der Kleiber, schon mit ihren Balzgesängen begonnen haben. Die kommen schon ein bisschen durcheinander durch das warme Wetter. In einem normalen Winter würden sie nie auf den Gedanken kommen, im Dezember mit der Balz zu beginnen - da steht die Nahrungssuche ganz oben auf ihrer To-do-Liste. Bei den Pflanzen ist es ähnlich. An manchen Orten sprießen schon die ersten Krokusse, wenn es jetzt so weitergeht, kommen bald die ersten Schneeglöckchen." Warme Phasen gäbe es aber immer wieder in Wintern, nur starke Temperaturwechsel stellen wirkliche Probleme für Pflanzen und Tiere dar.

Hasel-Blüte und gefährdete Insekten

Das ungewöhnlich milde Wetter weckt die Natur jedenfalls an mancher Stelle aus der Winterpause. Als erstes werde in den nächsten Tagen im Rheingau die Haselblüte beginnen, zwei bis vier Wochen früher als sonst, sagte der DWD-Agrarmeteorologe Hans-Helmut Schmitt. Auch andere Frühblüher regen sich: So schauen in vielen Gärten im Südwesten die ersten Schneeglöckchen und Gänseblümchen aus der Erde.

Sollte es doch noch einmal kalt werden, sei das für die Natur kein Problem, sagte Denise Burgert vom Landesagrarministerium in Stuttgart. "Es braucht mehr als ein paar milde Tage, um die Pflanzen aus dem Winterschlaf-Modus zu wecken."

Dank der milden Witterung bietet der Januar in Brandenburg auch für Pilzsammler eine Rarität: Pfifferlinge. "An der einen oder anderen Stelle sind die Pilze zu finden", sagte der Vorsitzende des Landesverbandes der Pilzsachverständigen Brandenburgs, Wolfgang Bivour. Zuletzt hatte es Pfifferlinge zum Jahreswechsel 2006/2007 gegeben. Pfifferlinge im Januar seien schon etwas Besonderes. Normalerweise können zu dieser Jahreszeit - wenn es frostfrei ist - Austernseitlinge und Winterrüblinge gesammelt werden.

Für heimische Insekten sind die hohen Temperaturen eher schlecht. Schädlinge, die als Eier, Larve oder fertiges Insekt den europäischen Winter überleben, vertragen feucht-mildes Wetter nicht. Sie sind an Frost gewöhnt, der sie gegen verschiedene Krankheitserreger schützt. Pilze könnten die Insekten befallen und sie erheblich schwächen, sagen DWD-Experten.

Auf den Feldern, wo im Herbst das Wintergetreide gesät wurde, tut sich derzeit noch nichts. Zum Wachsen brauchten die Pflanzen nicht nur Wärme, sondern auch Licht. Wenn es allerdings wochenlang mild ist und die Tage allmählich länger werden, setzt das Wachstum ein - und Kältestürze können den Pflanzen dann schaden.

Für manche Menschen mag das warme Wetter kein Problem darstellen, die Winzer in Rheinland-Pfalz aber bangen nun um ihren Eiswein. Damit die besonders süße Spezialität entstehen kann, sind mindestens sieben Grad minus nötig. In den nächsten Wochen müssen die Temperaturen in diesen Bereich sinken, sonst fällt die Eiswein-Lese aus, sagte Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Mainz. "Die Trauben werden zwar mit Folie geschützt, doch viel länger sind sie nicht haltbar." Dass wegen zu milder Temperaturen nur an ganz wenigen Orten Eiswein gewonnen werden konnte, ist laut Büscher schon häufiger vorgekommen, beispielsweise in der Saison 2006. Der besonders süße Eiswein gilt als Rarität, seine Menge schwankt von Jahr zu Jahr je nach Witterung und Ertrag des Jahrgangs erheblich.

Hasel-Pollen fliegen als erste

Die Winzer werden weiter bangen: In den nächsten Tagen bleibt es mild und regnerisch, dazu zieht Sturm auf. Orkantief Ulli bringt ab Dienstag heftigen Wind, der sich im Flachland zu Sturmböen auswachsen kann, auf den Bergen gibt es Orkanböen. Die Temperaturen sinken zunächst nur wenig, frühestens am Wochenende werde es kälter, heißt es beim DWD.

Das wenig winterliche Wetter der vergangenen Wochen lässt vermutlich auch bald die ersten Pollen fliegen - und bringt damit Allergikern besonders frühzeitig Probleme. "Das sind dann die Hasel-Pollen, die als erstes fliegen", sagte der Leiter der Allergie-Ambulanz an der Berliner Charité, Karl-Christian Bergmann. Schon der milde Herbst hatte Allergiker im übrigen auf eine Geduldsprobe gestellt. Die für gewöhnlich letzten Pollen des Jahres - die des Krautes Ambrosia - waren außergewöhnlich lange, bis in den späten Oktober, unterwegs.

© Süddeutsche.de/dpa/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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