Verschollenes Malaysia-Airlines-Flugzeug:Zehn Szenarien, null Gewissheit

A woman leaves messages of support and hope for passengers of missing Malaysia Airlines MH370 in central Kuala Lumpur

Eine Frau hinterlässt eine Nachricht für die Passagiere der vermissten Maschine MH370 in Kuala Lumpur.

(Foto: Damir Sagolj/Reuters)

Ist die Boeing 777 unbemerkt an einem geheimen Ort gelandet? Ist sie im Ganzen gesunken? Oder in einen plötzlichen Wetterumschwung geraten? Zehn Theorien um das Verschwinden des Malaysia-Airlines-Fliegers und wie sie zu bewerten sind.

Von Oliver Klasen und Lena Jakat

Die Einsatzkräfte suchen in zwei Korridoren, einem nördlichen, der von der kasachisch-turkmenischen Grenze bis nach Nordthailand reicht, und einem südlichen, der sich von Indonesien in den südlichen indischen Ozean erstreckt. Seit neun Tagen ist die Boeing 777 des Malaysia-Airlines-Flugs MH370 verschwunden. Seit neun Tagen rätselt die Welt über ihr Verschwinden. Anerkannte und selbsternanne Experten melden sich scharenweise zu Wort und die ratlose Öffentlichkeit lauscht ihnen begierig. Neun Theorien und was von ihnen zu halten ist.

Die Maschine flog unter dem Radar

Als sicher gilt, dass der Transponder an Bord der Boeing 777 abgeschaltet wurde. Der Transponder kommuniziert mit dem Bodenradar, schickt vielfältige Daten zu Flughöhe, Geschwindigkeit und Position und macht aus einem anonymen Fleck auf einem Monitor ein identifizierbares Flugobjekt. Diese Technik heißt Sekundärradar. Doch selbst wenn der Transponder defekt oder abgeschaltet ist, wird jedes Flugzeug, solange es über Land fliegt, so gut wie überall von einfachen, sogenannten Primärradaren registriert. Über dem offenen Meer dagegen gibt es, wenn überhaupt, nur vereinzelt militärische Radare. Wahrscheinlich ist daher, dass die Maschine eine Route über Wasser wählte. Dass das Flugzeug über Land und unter dem Radar flog - ohne abzustürzen - ist auch deswegen höchst unwahrscheinlich, weil, anders als Kampfjets und ihren Piloten, zivilen Flugzeugen die notwendige Ausbildung und technische Assistenzsysteme fehlen. "Piloten von Passagierflugzeugen werden nicht darin trainiert, Radare zu umgehen", zitiert CNN einen früheren Piloten. "Wir bleiben gerne auf dem Radar."

Flughöhe sollte Passagiere bewusstlos machen

Die normale Reiseflughöhe von Passagierflugzeugen liegt zwischen 30 000 und 40 000 Fuß (etwa 9000 bis 12 000 Meter). US-Ermittlern zufolge soll das Flugzeug kurz nach seinem Kurswechsel Richtung Westen jedoch auf eine Flughöhe von 45 000 Fuß gestiegen sein, wofür die Boeing 777 nicht zugelassen war. Das liefert Anlass für neue Spekulationen. Kam es in der Folge zu einem Druckabfall, der die Passagiere bewusstlos werden ließ, womöglich ein absichtliches Manöver eines Entführers, wie ein Pilot der New York Times sagte? Allerdings deutet alles darauf hin, dass der Druck in der Kabine auch 5000 Fuß über normaler Reiseflughöhe konstant bliebe und alle an Bord normal weiteratmen könnten.

Maschine war als Geisterflieger unterwegs

Falls es durch einen anderen Umstand zu einem plötzlichen Druckabfall in der Kabine kam, ist es theoretisch möglich, dass zwar alle an Bord das Bewusstsein verloren, die Maschine ansonsten jedoch intakt blieb und einfach weiterflog. 1999 war der US-Golfprofi Payne Stewart mit seinem Jet in Orlando gestartet, als unterwegs der Druck fiel. Alle Menschen an Bord wurden bewusstlos, starben möglicherweise sogar binnen kurzer Zeit, doch die Maschine flog dank des Autopilots weiter. Noch Tausende Meilen und fast vier Stunden lang, immer in Richtung Nordwesten, mitten durch US-amerikanischen Luftraum. Kampfflugzeuge der Luftwaffe und der Nationalgarde begleiteten den Geisterflieger, bis dieser in South Dakota in ein Feld stürzte. Dass ein führerloses Flugzeug unbemerkt stundenlang unterwegs ist, scheint dagegen unwahrscheinlich.

Flugzeug wurde für späteren Anschlag entführt

Die wohl absichtlich abgeschalteten Kommunikationssysteme an Bord, die rätselhafte Kursänderung - einige Indizien sprechen im Fall von Flug MH370 für einen terroristischen Hintergrund. Tatsächlich schließen US-Geheimdienste nicht aus, dass es einem flugkundigen Entführer gelungen sein könnte, ins Cockpit einzudringen und die Kontrolle über das Flugzeug zu übernehmen, oder dass einer der Piloten am Terrorkomplott beteiligt war. Eine Theorie besagt auch, dass die Terroristen nicht sofort einen Anschlag planten, sondern die 777 erst einmal unbemerkt irgendwo landen und verstecken wollten. Doch bei einem so großen Jet ist das extrem schwierig, wie alle Experten sagen. Zwar kann ein erfahrener Pilot auch ohne elektronische Hilfsmittel landen, aber selbst bei optimalen Bedingungen ist für eine 777 eine asphaltierte Piste von mindestens 1500 Metern nötig. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass es dabei keinerlei Augenzeugen gibt.

Zwischen technischem Versagen und außerweltlichen Kräften

Die Passagiere warten auf einer einsamen Insel auf Rettung

Es wäre exakt das Szenario, das in der US-Fernsehserie Lost beschrieben wird. Eine Bruchlandung auf einer einsamen Insel, bei der das Flugzeug möglicherweise auseinandergebrochen ist. Einige Passagiere sind vielleicht tot und nur ein kleiner Teil hat überlebt. Sämtliche Kommunikationsmittel sind zerstört oder nicht mehr auffindbar und die Gestrandeten müssen jetzt hoffen, dass sich irgendwann ein Schiff nähert und auf sie aufmerksam wird. Gleichzeitig müsste die Insel unbewohnt sein, so dass niemand etwas bemerkt hat. Bleibt die Frage: Wie viele Inseln im Indischen Ozean gibt es, die unbekannt und unbewohnt sind - aber gleichzeitig groß genug, damit ein Pilot dort eine Bruchlandung versuchen könnte?

Feuer an Bord

Die Erklärung, die ein gewisser Chris Goodfellow in einem Google-Plus-Eintrag liefert, scheint sehr plausibel. Über soziale Netzwerke und Blogs hat sie sich in den vergangenen Tagen im Internet rasant verbreitet. Die plötzliche Richtungsänderung von MH370, so heißt es in dem Eintrag, sei einem massiven Problem an Bord geschuldet, höchstwahrscheinlich einem Brand. Der Pilot von MH370 habe einfach den nächsten sicheren Flughafen erreichen wollen. Tatsächlich habe auf der Insel Pulau Langkawi ein Flughafen mit ausreichend langer Piste zur Verfügung gestanden. Auch die Abschaltung der Kommunikationssysteme lasse sich erklären, denn im Falle eines Kurzschlusses würde ein Pilot zunächst alle elektronischen Systeme abdrehen, um zu überprüfen, wo der Schaden herkommt. Allerdings habe die Besatzung von MH370 wohl nicht genug Zeit gehabt. Das Feuer habe wohl nicht unter Kontrolle gebracht werden können, die Piloten seien vielleicht bewusstlos geworden und das Flugzeug ins Meer gestürzt, schriebt Goodfellow, der nach eigenen Angaben selbst ein erfahrener Pilot ist. Auch einen vergleichbaren Fall führt er auf: Swiss-Air-Flug 111, der im September 1998 vor der Küste Kanadas infolge eines Feuers im Cockpit ins Meer stürzte. Inzwischen haben andere Blogger Goodfellows Erklärung aufgegriffen - und widersprochen. Die durch das Militärradar aufgezeichneten, erneuten Richtungsänderungen nach dem Abdrehen könnten unmöglich von einem nach einem Ausweichflughafen suchenden oder gar bewusstlosen Piloten vollführt worden sein, schreibt ein Autor auf der Internet-Seite Slate.

Technisches Versagen

In der ersten Zeit nach dem Verschwinden der Maschine lag der Fokus auf einem Absturz aufgrund technischer Schwierigkeiten oder menschlichen Versagens. Deutete das Fehlen von Trümmerteilen auf eine Explosion in großer Höhe hin? Oder auf eine Notlandung auf dem Meer, nach der das Flugzeug im Ganzen versank? Ein Unfall als einzige Ursache für das Verschwinden der Maschine scheint nach Bekanntwerden des Kurswechsels und der abgeschalteten Kommunikationssysteme unwahrscheinlich. Realistischer dürften Szenarien einer Entführung sein, die gescheitert ist. "Wenn es eine Entführung gab, dann war es wahrscheinlich eine missglückte Entführung", sagte John Hansman, Professor für Luftfahrt am Massachusetts Institut of Technology in Boston. Womöglich fehlte es den Luftpiraten an fliegerischer Kompetenz oder der Maschine ging der Treibstoff aus. Oder es kam zu einer Auseinandersetzung - sei es, zwischen den Entführern oder zwischen Terroristen und Passagieren. Dann wäre das Szenario möglicherweise ähnlich wie bei dem Flugzeug, das am 11. September 2001 bei Shanksville im US-Bundesstaat Pennsylvania abstürzte - mit dem Unterschied, dass die Absturzstelle diesmal auf dem offenen Ozean liegt.

Pilot wollte Suizid begehen

Neben der Möglichkeit eines terroristischen Motivs ermitteln die malaysischen Sicherheitskräfte auch in Richtung eines möglichen Suizids des Kapitäns oder seines Co-Piloten. Auch wenn dieses Szenario statistisch gesehen höchst unwahrscheinlich ist - die US-Luftsicherheitsbehörde FAA führt weniger als 0,5 Prozent aller tödlichen Luftfahrtunfälle auf Suizide eines Piloten zurück. Der wohl bekannteste Fall dieser Art ist der des Flugs EgyptAir 990, unterwegs von New York nach Kairo. Am 31. Oktober 1999 stürzte die Maschine in den Atlantik, alle 217 Menschen an Bord starben. In Bezug auf Flug MH370 erscheint die Selbsttötungs-These deswegen unwahrscheinlich, weil sie nicht erklären würde, warum die Maschine ihren Kurs änderte und die Kommunikationssysteme abgeschaltet wurden.

Maschine wurde von einem Meteoriten getroffen

Diese Mutmaßung kursiert vor allem unter Verschwörungstheoretikern. Auch wenn ein Meteoriteneinschlag im russischen Oblast Tscheljabinsk im Februar 2013 Hunderte Menschen leicht verletzte und die Welt an die Existenz dieser Himmelskörper erinnerte, bleibt die Kollision des Malaysia-Airlines-Flugzeugs mit einem Meteoriten statistisch nahezu ausgeschlossen. Und dabei sind Kursänderung und absichtliche Abschaltung der Systeme noch völlig außer Acht gelassen.

Schlechtes Wetter brachte die Maschine zum Absturz

Das Wetter auf der Flugroute von MH370 wird in allen Berichten als gut beschrieben. Doch es kommt vor, dass sich die Wetterbedingungen abrupt ändern. So findet sich auf der Seite des TV-Senders NBC das Beispiel eines in den Anden mehr als 50 Jahre lang vermissten Passagierflugzeugs. Als das Flugzeug 1947 verschwand, glaubten alle Experten an einen Pilotenfehler. Doch als das Wrack im Jahr 2000 gefunden wurde und argentinische Fachleute die Unfallstelle untersuchten, kam heraus, dass ein plötzlicher Wetterumschwung das Unglück ausgelöst hatte. In US-Medien wird auch Delta-Airlines-Flug 191 erwähnt, der 1985 aufgrund plötzlicher Scherwinde beim Landeanflug auf Dallas abstürzte. Allerdings treten solche Winde nur in Bodennähe auf und sind höchstens bei Start und Landung ein Problem. Zwar gibt es auch in klarer, wolkenloser Luft mitunter schwere Turbulenzen. Diese können ein Passagierjet stark durchschütteln, so dass Passagiere verletzt werden, insbesondere, wenn sie nicht angeschnallt sind. Dass diese aber allein ein Flugzeug zum Absturz bringen können, halten Experten für nahezu ausgeschlossen.

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