Urteil im Kalinka-Prozess:Gerechtigkeit nach 30 Jahren?

Lesezeit: 2 min

Der Fall der getöteten Kalinka sorgte in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach für Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich. (Foto: dpa)

Der mysteriöse Tod einer 14-jährigen Französin, schlampige Ermittlungen bayerischer Behörden, Selbstjustiz eines enttäuschten Vaters: Der "Fall Kalinka" beschäftigt die Justiz seit 30 Jahren und hat die deutsch-französischen Beziehungen phasenweise massiv belastet. Nun fällt im Prozess gegen den mutmaßlichen Täter das vielleicht endgültige Urteil.

Von Matthias Kohlmaier

Die vielleicht letzte Runde in dem deutsch-französischen Justizdrama um den Tod der 14-jährigen Französin Kalinka Bamberski steht an. 30 Jahre nach dem Tod des Mädchens sollten die Richter im Berufungsprozess gegen Stiefvater Dieter Krombach am vergangenen Freitag ein Urteil sprechen. Der Urteilsspruch wurde jedoch kurzfristig auf die kommende Woche verschoben. Im ersten Prozess war der deutsche Kardiologe zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.

Keinen Grund habe er gehabt, seine Stieftochter zu töten, sagte der Angeklagte zum Auftakt des aktuellen Prozesses in Créteil nahe Paris. Und tatsächlich ist das Verfahren ausschließlich auf Indizien aufgebaut, unwiderlegbare Beweise für Krombachs Schuld gibt es nicht. Die Todesursache des Mädchens nämlich wurde nie aufgeklärt.

Kalinka war am 10. Juli 1982 tot in ihrem Bett in Lindau am Bodensee gefunden worden, nachdem Krombach ihr am Vorabend ein Eisenpräparat gespritzt hatte - angeblich habe sich das Mädchen geschwächt gefühlt. Im erstinstanzlichen Verfahren vor einem Pariser Gericht hatten Experten die Vermutung geäußert, das Mädchen könne sich übergeben haben und dabei erstickt sein.

Es bleiben jedoch die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Krombach. Bei der Obduktion von Kalinkas Leichnam soll eine weißliche Flüssigkeit in der Scheide sichergestellt worden sein. Sämtliche Beweismittel, einschließlich von den deutschen Gerichtsmedizinern entnommene Geschlechtsorgane, sind jedoch unter bis heute ungeklärten Umständen verschwunden. Dazu gesellt sich eine ausgewiesene Schlampigkeit bayerischer Behörden in diesem Fall: Die Polizei hat am Tatort keine Spuren gesichert, die Rechtsmedizin hat die Leiche tagelang verwesen lassen bis zur Obduktion.

Ein Indiz spricht dennoch für ein Sexualverbrechen: 1997 vergewaltigte der Kardiologe Dieter Krombach in seiner Praxis eine sedierte Patientin. Vor Gericht räumte er die Vorwürfe ein und wurde deshalb nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Der gesamte Prozess um den Tod Kalinkas steht für die großen juristischen Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich. In Deutschland wurde der Fall bereits 1987 ohne Anklageerhebung zu den Akten gelegt - zu wenig Beweise, hieß es. Damit gilt hierzulande, nach deutschem Recht: Niemand darf zweimal wegen desselben Vergehens belangt werden.

Es gibt aber jemanden, der das nicht hinnehmen wollte: André Bamberski, Kalinkas leiblicher Vater. Er, von Krombachs Schuld überzeugt, kämpfte weiter für eine Verurteilung des Mannes, der seine Tochter getötet haben soll. Die Folge von Bamberskis Anstrengungen: Krombach wurde 1995 bei einem Verfahren in Frankreich in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Bundesrepublik weigerte sich jedoch, den heute 77-Jährigen auszuliefern.

Wurde entführt und zu 15 Jahren Haft verurteilt, ging dagegen in Berufung: Dieter Krombach, Kalinkas Stiefvater. (Porträt des Gerichtszeichners vom 27.11.2012) (Foto: AFP)

Bamberski also griff zum letzten Mittel, um Krombach doch noch hinter Gitter zu bringen: Selbstjustiz. 2009 heuerte der Franzose Männer an, die Krombach in dessen Wohnort in Bayern entführten und nach Frankreich schafften. Bamberski hat längst gestanden, den Deutschen entführt zu haben. Er muss sich dafür voraussichtlich im Verlauf des Jahres 2013 verantworten.

Es folgte der Prozess in Créteil bei Paris, diesmal in Anwesenheit des Beklagten. Das im Oktober 2011 verkündete Ergebnis lautete wieder 15 Jahre Haft - wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Dagegen legten Krombachs Anwälte Berufung ein.

Viele Indizien sprechen für die Schuld Krombachs. Und: Die deutsche Justiz und Gerichtsmedizin scheinen vor 30 Jahren alles andere als vorbildlich gearbeitet zu haben. Trotzdem werden viele Fragen offenbleiben, auch wenn das französische Gericht Krombach nun verurteilen sollte: Darf die französische Justiz von einem offenkundigen Verbrechen, der Entführung Krombachs, profitieren und ihm den Prozess machen? Darf deutsches Recht dabei ignoriert werden?

Wenige Tage nach Beginn des aktuellen Prozesses, und das lässt einen kleinen Einblick in die Seele des André Bamberski zu, hat der als Nebenkläger aufgetretene Vater Kalinkas seine Anwälte gefeuert. Einer der Geschassten erklärte, sein bisheriger Mandant sei der Ansicht, "sein Leiden und sein Kampf" bedürften nicht der "Interpretation der Anwälte". Bamberski scheint sich auch ohne Rechtsbeistand seiner Sache sehr sicher zu sein.

© Süddeutsche.de/mkoh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: