Kalinka-Prozess wird fortgesetzt:Der Tod und das Mädchen

Kalinka-Prozess

Kalinka, eine Französin polnischer Abstammung, war 1982 im Haus ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in Lindau am Bodensee unter unklaren Umständen gestorben. Jetzt wird der Prozess neu aufgerollt.

(Foto: dpa)

Der Fall Kalinka gilt seit 30 Jahren als einer der kompliziertesten der französischen Rechtsgeschichte. Es geht um Zuständigkeiten der Gerichte, um verschiedene Rechtsauffassungen und um Selbstjustiz. Jetzt wird der Prozess in Frankreich fortgesetzt.

Michael Kläsgen und Katrin Kuntz

Der Fall Kalinka geht in eine neue Runde. Auch nach 30 Jahren ist er noch nicht abgeschlossen. Gestern begann in Créteil bei Paris der Berufungsprozess. Der Lindauer Arzt Dieter Krombach hat ihn angestrengt. Zu 15 Jahren Haft wurde der heute 77-Jährige im Oktober vergangenen Jahres in Frankreich verurteilt - weil er seine damals 14 Jahre alte Stieftochter Kalinka Bamberski missbraucht und umgebracht haben soll.

Er habe sich der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht, urteilte das Gericht damals. Beim Prozessauftakt in Créteil erschien Krombach im Rollstuhl im Saal des Schwurgerichts. Sein Anwalt hat Zweifel angemeldet, ob der inhaftierte Arzt den bis zum 14. Dezember angesetzten Prozess durchstehe. Das Gericht stellte ihn unter permanente ärztliche Aufsicht.

Krombach sitzt inzwischen im Gefängnis La Santé, der größten Haftanstalt von Paris. Er hatte eine Verlegung beantragt, weil er sich im Gefängnis von Fresnes im Süden der Stadt von Mithäftlingen drangsaliert sah. Dem Salzburger Jura-Professor Otto Lagodny hatte er in mehreren Briefen geschrieben, wie sehr ihm dort zugesetzt werde.

Niedergeschlagen von "einem Schwarzen"

In einem Schreiben vom August habe er beklagt, "ein Schwarzer" habe ihn beim Hofgang niedergeschlagen. Er habe nach Hilfe gerufen. Nicht einmal der Wächter habe darauf reagiert. "Sie haben beschlossen, mich zu töten", sagte Krombach nun am ersten Verhandlungstag in Créteil. Die Gefängnisleitung wies die Vorwürfe auch gegenüber der deutschen Botschaft in Paris zurück, die Krombach wie alle deutschen Häftlinge auf Wunsch betreut. "Verbalangriffe" habe es gegeben. Man habe auf Krombach "aufgepasst".

Der Fall Kalinka gilt als einer der vertracktesten der europäischen Rechtsgeschichte. Er hat grundlegend unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen Deutschland und Frankreich offengelegt, die bis heute nicht geklärt sind. Auch am ersten Tag des Berufungsprozesses ging es um Verfahrensfragen: Ist das Gericht in Créteil überhaupt zuständig? Muss der Europäische Gerichtshof zwischengeschaltet werden, um die Zuständigkeit prüfen?

Die deutschen Verteidiger Krombachs argumentieren, dass niemand wegen derselben Sache zweimal vor Gericht gestellt werden darf. Der Prozess sei "illegal". Es gebe einen "eisernen Vorhang zwischen Frankreich und Deutschland", die Verteidigung habe keinen Zugang zu Beweisstücken. Ein Gericht in Kempten hatte das Verfahren bereits eingestellt - unter Berücksichtigung der französischen Ermittlungsergebnisse. Die nächsthöheren Instanzen, der Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof, wiesen zudem alle Schadenersatzforderungen des leiblichen Vaters, André Bamberski, zurück.

Selbstjustiz: Gewaltsame Entführung

Bamberski war von Anfang an von der Täterschaft Krombachs überzeugt. Er erreichte, dass Krombach in Frankreich 1995 in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Diese wurde aber nicht vollstreckt. Der Europäische Gerichtshof erkannte das Urteil nicht an, weil der Prozess nicht fair gewesen sei. Die Gegenseite sei nicht ausreichend gehört worden.

Krombach affair at Creteil's courthouse

Andre Bamberski, der Vater des vor 30 Jahren ermordeten Mädchens, wartet außerhalb des Gerichtsgebäudes in Créteil (Frankreich) auf den Beginn des Prozesses.

(Foto: dpa)

Die Bundesrepublik lieferte Krombach damals nicht aus, auch 2005 nicht, als der Mann vom Bodensee der deutschen Justiz als Sexualstraftäter längst bekannt war. Bamberski heuerte schließlich vor drei Jahren zwei Männer an, die Krombach in Deutschland überwältigten, fesselten und nach Frankreich fuhren. So basiert das jetzige Verfahren auf einer gewaltsamen Entführung. Bamberski muss sich voraussichtlich erst Ende 2013 dafür verantworten.

Kalinkas leiblicher Vater hatte sich die Verurteilung Krombachs nach dem Tod seiner Tochter am 10. Juli 1982 zur Lebensaufgabe gemacht. Er erwarte, dass Krombach wegen Mordes an einer Minderjährigen verurteilt werde, sagte Bamberski am Dienstag. Krombach behauptet weiter, dass er unschuldig sei.

Kalinka, "die Arme", habe noch eine Woche vor ihrem Tod geschrieben, "sie verstehe sich sehr gut mit dem neuen Mann ihrer Mutter", so Krombach. Er habe sie geliebt wie seine eigenen Kinder. Ob er das Mädchen vergewaltigte, blieb bis zuletzt unklar. Kalinka starb offenbar an einer Injektion mit einem Eisenpräparat und einem Bräunungsmittel, das Krombach ihr am Abend verabreichte. Am nächsten Morgen fand sie die Mutter tot im Bett, vermutlich erstickt an ihrem eigenen Erbrochenen.

In dem Berufungsprozess wird es wieder zur Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung kommen. Die Experten haben sich erneut auf Kalinkas Todesursache verständigt - ohne deren Umstände genau bestimmen zu können. Die Männer ziehen in ihre wohl letzte Schlacht. Kalinka bleibt tot.

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