Italien:Nach dem Beben ist vor dem Beben

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In der Region südöstlich von Perugia ist weiter mit Aktivität zu rechnen. (Foto: sz grafik)
  • Global betrachtet ist Italien in einer geologischen Zwangslage. Von allen Seiten drücken und ziehen monströse Kräfte.
  • Die sich dabei permanent aufbauenden Zugkräfte entladen sich immer wieder ruckartig.
  • Experten gehen davon aus, dass die Aktivität in der Region südöstlich von Perugia weiter anhält.

Von Patrick Illinger

Diesmal also in der Nähe von Norcia. Erst im August hatte es bei Amatrice in Mittelitalien gebebt, und vor wenigen Tagen rund 30 Kilometer weiter nördlich. Nach all diesen Erdstößen hatten Geologen vorsichtig die Hoffnung geäußert, dass sich im Untergrund nun womöglich Spannung entladen habe und die Bewohner des Apennin aufatmen können.

Doch die Tektonik unter dem Bergrücken ist vertrackt. Alle in diesem Jahr betroffenen Orte liegen nicht direkt an einer Plattengrenze, einer Verwerfung, an der sich zwei größere Stücke Erdkruste reiben, sondern in einem Gebiet, das durchzogen ist von vielen, teils kleineren Verwerfungen, die manchmal parallel zueinander verlaufen. Man muss es sich vorstellen wie ein gekochtes Ei, das auf eine Tischplatte geklopft wurde.

Nun gelten die Beben von vor einer Woche nicht mehr als Nachbeben der Erdstöße von Amatrice, sondern als Vorbeben des Ereignisses vom Sonntag. Geologen fühlen sich an eine Erdbebenserie im Jahr 1997 erinnert, als es mehrere Monate lang in Umbrien und den Marken zu einer Serie von Erdstößen kam. Was nun in der Region südöstlich von Perugia zu erwarten sei, könne man nicht mit Sicherheit sagen, sagt Torsten Dahm vom Helmholtz-Zentrum Potsdam GFZ. "Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Aktivität weiter anhält", sagt er. Das könnte sogar Monate anhalten und ähnlich starke Beben hervorbringen.

Italien in der Zwangslage: Von allen Seiten ziehen und drücken monströse Kräfte

Das örtliche Ziehen und Reiben des zerklüfteten Untergrunds unter dem Apennin ist auch mit modernsten Computersimulationen nicht im Detail berechenbar. Global betrachtet ist Italien in einer unseligen geologischen Zwangslage. Von allen Seiten drücken und ziehen monströse Kräfte.

Von unten rückt Afrika heran und presst nach Norden. Die dazwischenklemmende, von Venedig bis Sizilien verlaufende adriatische Erdplatte schiebt sich am nordöstlichen Ende langsam unter die europäische Platte und zieht am Apennin. Zu allem Überfluss dreht sich die erst vor 100 Millionen Jahren von Afrika abgespaltene adriatische Platte auch noch langsam gegen den Uhrzeigersinn. Die sich dabei permanent aufbauenden Zugkräfte entladen sich immer wieder ruckartig. Das Wort "ruckartig" bezieht sich allerdings auf geologische Zeiträume: Während eines solchen Ereignisses verzeichnen die Seismometer durchaus mehrere Hundert Erdstöße.

Das Epizentrum lag an diesem Sonntag in einer vergleichsweise geringen Tiefe - was geologisch ungewöhnlich ist und für die Menschen an der Erdoberfläche besonders gefährlich. Je näher an der Oberfläche es bebt, desto stärker sind die Erschütterungen zu spüren. Die von Geologen mit einer Magnitude von 6,5 angegebene Stärke des Bebens vom Sonntag überrascht zusätzlich. Die Erdstöße waren heftiger als die anderen Beben in diesem Jahr. Man muss sich dabei klarmachen, dass die Magnitudenskala exponentiell verläuft: Ein Beben von 6,5 wie jenes am Sonntag setzt gut 30-mal so viel Energie frei wie ein Beben der Stärke 5,5.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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