Serie Ü 90:Auswanderungsgrund: Liebe - Rückkehrgrund: Heimat

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Was bedeutet Heimat, wenn man über 90 ist? Der Österreicher Helmund Kaspar ließ sich mit 93 Jahren zum zweiten Mal einbürgern - und musste dafür singen.

"Home is where the heart is", hat Elvis Presley einst gesungen, Heimat ist, wo das Herz ist. Was Heimat bedeutet, ist Ansichtssache, die Frage aber, die sich davon ausgehend bei einem wie Helmund Kaspar stellt, ist: Welche Rolle spielt das Alter für die Suche nach der Heimat? Und warum beginnt einer, der schon über 90 ist und die vergangenen sechs Jahrzehnte am selben Ort gelebt hat, diese Suche noch mal neu?

Helmund Kaspar ließ sich zweimal einbürgern: Zum ersten Mal vor mehr als 60 Jahren, damals wanderte er von Österreich in die USA aus. Aus einem ganz klassischen Grund: Liebe. "Es war Liebe auf den ersten Blick", sagt Kaspar, sie war eine amerikanische Touristin, und als er ein Jahr später von amerikanischen Armeekontakten einen Fortbildungskurs in den USA finanziert bekam, nutzte er die Gelegenheit. Wie man als Österreicher am ehesten eine Frau beeindruckt? Bittschön, was für eine Frage. "Wir waren Ski fahren", Helmund Kaspar ruft die Antwort beinahe, "1949 war das noch ungewöhnlich in Amerika." Bald darauf folgte die Verlobung.

Er arbeitete als Chirurg, lebte in Kalifornien, aber dann starb seine Frau, und irgendwann hatte er das Gefühl, mit dem Herzen nicht mehr ganz da zu sein, in Kalifornien.

Mit 93 Jahren plante er seine zweite Einbürgerung, die Rückkehr nach Österreich. Innerhalb von neun Monaten war sämtlicher Besitz verkauft, der Rest wurde verschifft. 141 Kisten: So viele braucht man, wenn man sein Leben nach 93 Jahren einpackt und auswandert - beziehungsweise wieder einwandert, je nach Betrachtungsweise.

Im Weg stand ihm nun noch eine einzige Sache: Singen. Damit Österreich ihn wieder aufnahm, musste er die Bundeshymne vorsingen, zur Karaokemaschine. Alle drei Strophen. Elf Minuten und eine dann doch beachtliche gesangliche Leistung später war Helmund Kaspar wieder Österreicher.

SZ PlusMenschen über 90
:I feel good

Nach dem Tod seiner Frau zog Helmund Kaspar mit 93 Jahren zurück in die Heimat, von Los Angeles nach Österreich. Bei seiner Einbürgerung musste er elf Minuten lang die Bundeshymne singen, begleitet von einer Karaokemaschine.

Von Lina Paulitsch

Die SZ stellt in der Serie "Ü 90" vier bemerkenswerte Menschen im hohen Alter vor. Folge eins erzählte die Geschichte der 93-Jährigen Rosemarie Achenbach aus Siegen, die an ihrer Doktorarbeit über die Philosophie des Todes schreibt. Folge zwei beschäftigt sich mit dem Mediziner Wildor Hollmann, der zu Sepp Herbergers Zeiten Mannschaftsarzt der Fußball-Nationalmannschaft war, danach Amt auf Amt häufte - und heute, mit 92, an der Sporthochschule Köln lehrt und die Vorlesungssäle füllt. In Folge drei geht es um den 100-jährigen Leopold Kuchwalek aus Berlin, den wohl ältesten Schwimmlehrer Deutschlands, und in der letzten Folge also um Helmund Kaspar, den heute 97-Jährigen, der vor ein paar Jahren seine Heimatsuche neu begann.

Lesen Sie hier weitere Texte der Serie.

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