Schweden: Geldraub aus der Luft:Die Überflieger

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"So etwas haben wir hier noch nie erlebt": Wie Gangster mit einem spektakulären Überfall Schwedens Polizei austricksten.

Claudia Fromme und Marten Rolff

Kopfschmerzen überall. Bei den Stockholmer Bankern, die fürchten, dass ihnen das Bargeld ausgehen könnte, weil die Räuber ihr wichtigstes Gelddepot lahmgelegt haben.

Bei den Schweden, die womöglich vor leeren Geldautomaten stehen. Bei der Reichskriminalpolizei, weil die sich plump von Gangstern hat an der Nase herumführen lassen. "Es ist einfach nur peinlich, wenn Kriminelle die Polizei mit einem Trick wie aus einem Kinderkrimi austricksen können", ätzte die Zeitung Aftonbladet am Tag nach dem Überfall.

Kurz nach fünf Uhr am Mittwochmorgen hatten sich mehrere maskierte Räuber aus einem Helikopter auf das Dach eines Gelddepots in Västberga bei Stockholm abgeseilt und Sprengsätze gezündet. Dann waren sie durch das Fenster in das Gebäude der Sicherheitsfirma G4S eingestiegen, um kaum 20 Minuten später vor den Augen von 21 Depotmitarbeitern mit Säcken voller Geld wieder davonzufliegen.

Keiner wurde verletzt bei dem Coup. Die Höhe der Beute ist noch nicht bekannt, der Kriminologe Leif Persson mutmaßte im schwedischen Fernsehen, dass es eine Milliarde Kronen sein könnten, 100 Millionen Euro. Die Räuber legten die Polizei lahm, indem sie einen Koffer vor deren Hangar stellten, auf dem das Wort ,,Bombe'' gestanden haben soll. Bis der Ersatzflieger aus Göteborg die Verfolgung aufnehmen konnte, stand der gestohlene Bell 206 Jet Ranger längst verlassen an einem See 30 Kilometer entfernt.

Plumpe Bombenattrappen

Der wohl spektakulärste Raubüberfall der schwedischen Geschichte war sorgsam ausgetüftelt worden. Das Depot von G4S, eine der weltgrößten Sicherheitsfirmen, war randvoll mit Cash, da viele Schweden am 25. des Monats ihr Gehalt bekommen und die Stockholmer Bankautomaten, die G4S bestückt, stärker beansprucht werden als sonst. Zudem waren kurz vor dem Raub große Summen aus dem Keller des Gebäudes in das oberste Geschoss gebracht worden.

Die Zeitung Dagens Nyheter mutmaßt daher, dass es einen Mitwisser bei G4S geben muss. Die Polizei kommentiert das nicht, auch nicht die genaue Vorgehensweise der Täter. Am Donnerstag war Kjell Lindgren von der Stockholmer Polizei weiter ratlos: "So etwas haben wir hier noch nie erlebt."

Aus Sicherheitskreisen verlautet, dass mindestens zehn Täter beteiligt gewesen sein sollen, die Handschrift lasse womöglich auf ehemalige Soldaten aus den Balkankriegen schließen. Die Ausführung der Tat zeugt von einer besonderen militärischen Ausbildung. Die Polizei schätzt, dass es in Schweden höchstens 25 Verbrecher gibt, die zu so einem Coup überhaupt in der Lage wären. In Medienberichten wurde am Donnerstag gar spekuliert, ein bosnischer Mafiaboss habe den Überfall geplant. Zwei Männer, die die Polizei am Mittwoch festgenommen hatte, haben mit dem Coup hingegen wohl nichts zu tun.

"Natürlich nicht gut"

Verschiedene Polizeisprecher bemühten sich am Donnerstag gar nicht erst, das Vorgehen der Ermittler schönzureden. Der Polizeihangar war nicht ordnungsgemäß gesichert, sodass die Bombenattrappe davor platziert werden konnte. Rikard Johannson von der Reichskriminalpolizei sagte dazu verlegen, dass das "natürlich nicht gut" sei.

Aber auch sonst hätten die Beamten wahrscheinlich nicht ausrücken können: Die Zufahrtsstraßen hatten die Gangster mit reißzweckenähnlichem Material bestreut, um eine Verfolgung zu verhindern. Wie machtlos die Polizei gegen die Flucht der Täter gewesen zu sein scheint, zeigt auch der Fall eines Augenzeugen, der gegen 7.30 Uhr in den Morgennachrichten vom Überfall auf das Gelddepot erfahren haben will.

Genau zur selben Zeit habe er Motorengeräusche gehört und aus dem Fenster sehen können, wie ein weiß-roter Hubschrauber über sein Haus geflogen sei, erzählte Björn Lockstrom aus Skavloten dem schwedischen Privatsender TV4. Ich dachte noch: "Das kann ja nicht der gesuchte Hubschrauber sein. Jetzt ist mir klar, dass er es doch gewesen ist."

Serie von Verbrechen

Der Coup von Västberga ist der jüngste in einer Serie spektakulärer Raubüberfälle in Schweden. Den Räubern muss man dabei durchaus einen gewissen Einfallsreichtum attestieren, der Polizei in deren Verfolgung eher nicht. Das größte Aufsehen hatte bislang der Überfall auf ein Göteborger Briefzentrum im Januar 2008 erregt, für den unbekannte Täter die Stadt nahezu lahmlegten.

Die Polizei lenkten sie ab, indem sie Autos anzündeten, Straßensperren errichteten und an strategisch wichtigen Plätzen Koffer deponierten, auf denen in ungelenker Schrift "Bombe" stand. Vor Göteborgs Polizeihauptquartier war damals eine Autobombe platziert gewesen, die sich als Attrappe erwies wie alle anderen Sprengsätze auch.

Die Vorgehensweise der Täter im Gelddepot-Fall war der schwedischen Polizei also nicht unbekannt, die Parallelen dürften die Ermittler in Erklärungsnöte bringen. Ebenso peinlich sind schwedische Medienberichte, denen zufolge die Polizei einen Tipp aus der Szene erhalten haben soll, dass ein Raubüberfall per Helikopter geplant werde. Leider sollen die Ermittler anschließend aber das falsche Gelddepot überwacht haben. Sie sollen in Bromma, nordwestlich von Stockholm, vergeblich auf die Täter gewartet haben.

Über die Höhe der erbeuteten Summe wird weiter spekuliert. Ein Helikopterpilot erklärte in der Presse, dass ein Bell 206 eine sehr beschränkte Ladekapazität habe. Maximal 4,5 Millionen Euro könne der Hubschrauber mitnehmen. Doch auch wenn die Beute geringer ist als vermutet, dürfte für den Fall ein Muster gelten, das bei solchen Coups nicht unüblich ist: Einige Täter werden meist gefasst. Ein Großteil des Geldes bleibt aber verschwunden.

© SZ vom 25.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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