Schreckensnachricht via Whatsapp:"Hi, ich bin Nico"

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"Mein Gesicht ist voller Narben": Drohung per Smartphone-App. Grafik: SZ (Foto: N/A)

Unter Niedersachsens Schülern kursiert eine Horrornachricht, in der eine Computerstimme den Empfängern droht: Entweder sie leiten die Nachricht an 20 Freunde weiter, oder es gibt nächtlichen Besuch von einem Neunjährigen ohne Hände und mit einem Gesicht "voller Narben und Blut".

Von Helmut Martin-Jung

Es ist bloß eine Computerstimme, neutral und freundlich. Aber gerade das macht es umso beängstigender, was in diesen Tagen aus den Smartphones vieler Kinder und Jugendlicher in Niedersachsen dringt: "Hi, ich bin Nico und bin neun Jahre und habe keine Hände mehr und mein Gesicht ist voller Narben und Blut", sagt die emotionslose Stimme, die stark an die sprechende Assistentin "Siri" von Apples iPhone erinnert. "Wenn du diese Nachricht nicht an 20 Leute verschickst, komme ich um null Uhr zu dir." Noch rätselt man beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen, wer die Nachricht in die Welt gesetzt haben könnte. Auf jeden Fall verbreite sie sich sehr schnell in den Schulen des Landes, sagt Michael Mahnke vom LKA.

Gemeldet wurde der Fall von Lehrern. "Die hatten gar nicht geahnt, dass es so etwas überhaupt gibt", erzählt der Kriminalbeamte. Erst als die Pädagogen mit den verwirrten Schülern sprachen, kam die Sache ans Licht. Vor allem die jüngeren Kinder verfügten noch nicht über die Medienkompetenz, um das Ganze richtig zu beurteilen, sagt Mahnke, die Jüngsten gingen erst in die 3. oder 4. Klasse. Aber auch viele Schüler der 5., 6. und 7. Klassen hätten die Nachricht aus Angst weitergeleitet. Und sogar in den höheren Klassen sei die Tondatei weitergegeben worden, dort aber in den meisten Fällen eher zum Spaß. "Die Älteren verstehen das schon, aber manche waren sich auch bei den Älteren nicht sicher und haben es weitergeleitet."

Die Drohung wurde über eine beliebte Software für Smartphones verbreitet: WhatsApp. Die Anwendung einer amerikanischen Firma hat nach eigenen Angaben allein Deutschland mehr als 20 Millionen Nutzer pro Monat. Ihr Hauptzweck ist es, Nachrichten zu verschicken, ähnlich einer SMS, allerdings ist man bei WhatsApp nicht an eine bestimmte Textlänge gebunden. Darüber hinaus kann man an die Nachrichten wie bei E-Mails Dateien anhängen, etwa digitalisierte Musik, Fotos oder Videos. Die Übermittlung der Nachrichten ist kostenlos, und sie lässt sich sehr einfach bedienen. Eine Tondatei ist ebenfalls leicht herzustellen: Man schreibt den Text und lässt ihn dann von einem Programm in Sprache umwandeln und wiedergeben.

Kinder und Jugendliche, die mit elektronischen Geräten aufgewachsen sind, haben keine Probleme, eine solche App zu nutzen. Anders als die Elterngeneration. Vielen Erwachsenen ist oftmals gar nicht klar, welche Möglichkeiten zum Beispiel ein iPod mit Berührungsbildschirm und Internetzugang bietet - und welche Gefahren damit drohen.

"Das ist schon gruselig"

"Eltern müssen mit ihren Kindern darüber diskutieren, wie man das nutzt", rät Moritz Becker vom Hannoveraner Verein Smiley. Er und seine Kollegen, ehemalige Lehrer oder Pädagogen, besuchen Schulklassen, um deren Medienkompetenz zu stärken. "Wir staunen oft, was da nachts alles passiert", berichtet Becker, "die Kinder sind übermüdet, vertippen sich, da entstehen Missverständnisse, es kommt zum Streit, und am nächsten Tag in der Schule reden die kaum noch miteinander."

Also Handy weg und Wlan aus? "Nein", sagt Becker, "das bringt nichts, für viele Jugendliche ist das Handy ja auch der Wecker." Es sei besser, mit den Kindern zu reden und Einsicht dafür zu wecken, dass es nicht gut ist, sich der Dauerkommunikation auszusetzen. Man müsse ihnen beibringen, sich selbst zu kontrollieren.

Und wenn abends plötzlich eine Schreckensnachricht wie die Todesdrohung per Computerstimme eintrudelt? "Das ist schon gruselig", gibt Becker zu.

Gruselig, aber nicht neu. Absichtliche Falschmeldungen - sogenannte Hoaxes, die oft als Kettenbriefe unterwegs sind - tauchen verstärkt auf, seitdem Internet und E-Mail vor etwa 15 Jahren zum Massenphänomen wurden. Der Berliner IT-Experte Frank Ziemann wurde schon damals darauf aufmerksam und gründete die erste deutschsprachige Internetseite, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Falschmeldungen zu entlarven ("Hoax-Info Service"). "Die ersten Hoaxes waren hauptsächlich Virusmeldungen", erinnert er sich, "hanebüchener Unsinn." Später gab es auch andere, ausgefeiltere Meldungen, ab und zu musste Ziemann bei der Polizei oder Organisationen wie Greenpeace nachfragen, um einer Sache auf den Grund zu gehen.

Der Experte rät allen Nutzern, jung wie alt, beim Umgang mit seltsamen oder bedrohlich klingenden Nachrichten ihr wichtigstes Gerät einzuschalten: "den gesunden Menschenverstand".

© SZ vom 16.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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