Rockerklub:Hells Angels beerdigen ihren Boss

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  • Mehr als 1000 Menschen nahmen am Mittwoch an der Beisetzung ihres einstigen Präsidenten Aygün Mucuk teil.
  • Der 45-Jährige war in der vergangenen Woche vor dem Klub-Heim der Gießener Hells Angels erschossen worden.
  • Mucuk galt als wichtige Figur in einem lange schwelenden internen Streit der hessischen Hells Angels.

Von Reiko Pinkert und Jan Lukas Strozyk

Es war eine Trauerprozession auf Motorrädern: Mehr als 1000 Menschen, viele in Lederkutten, nahmen am Mittwoch von ihrem einstigen Präsidenten Abschied. Der 45-jährige Aygün Mucuk war in der vergangenen Woche vor dem Klub-Heim der Gießener Hells Angels erschossen worden. Nun wurde er auf einem muslimischen Gräberfeld beigesetzt, ohne Zwischenfälle. Die Polizei hatte die Beerdigung mit einem Großaufgebot gesichert.

Eine Reinigungskraft hatte Mucuks Leiche am frühen Morgen des vergangenen Freitag auf dem Gelände des Klubhauses in Wettenberg bei Gießen gefunden. Mucuk soll mit mindestens 16 Kugeln regelrecht hingerichtet worden sein. Bei ihm selbst wurde keine Waffe gefunden. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Gießen erklärte, dass bislang keine Tatverdächtigen ermittelt werden konnten, die Untersuchungen dauerten an.

Aygün Mucuk galt als wichtige Figur in einem lange schwelenden internen Streit der hessischen Hells Angels. Der muskelbepackte Rocker hatte für den Frankfurter Ableger des Klubs als Türsteher und Zuhälter einst für Ruhe im Milieu gesorgt. Das war Mucuk offenbar irgendwann nicht mehr genug - er und seine Gefolgschaft wollten teilhaben am großen Geschäft der alten Frankfurter Bosse. Im Juli 2014 kam es zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen Mucuks Männern und der Frankfurter Führungsriege. Dabei wurde Mucuk angeschossen. Der Schütze wurde später wegen Notwehr freigesprochen.

Aus Rache gründete Mucuk die "Hells Angels Luxemburg"

Gemeinsam mit Verbündeten soll Mucuk die alten Angels-Führer damals überfallen haben - eine Machtdemonstration nennen es Kenner der Szene. Wenige Stunden nach dem Angriff ließ sich Mucuk mit blankem Oberkörper ablichten und präsentierte seine Wunden. In der Szene spielen solche symbolischen Bilder eine große Rolle, Mucuk wusste damit umzugehen: Auf Fotos zeigte er sich mit Maschinenpistole im Anschlag, auf Videoaufnahmen betonte er in breitem Hessisch seine Unabhängigkeit - auch gegenüber dem eigenen Klub.

Nachdem Mucuk die Frankfurter Hells Angels im Streit verlassen hatte, gründete er seinen eigenen Ableger - offiziell als "Hells Angels Luxemburg", allerdings ohne wirkliche Verbindung in das Nachbarland. Ein Trick, denn in Deutschland hätte Mucuk wohl ohne die Zustimmung der alten Frankfurter Chefs keinen lokalen Ableger eröffnen können. Das Hauptquartier schlugen Mucuk und die nun Luxemburger Hells Angels bei Gießen auf, es ist das Gebäude, vor dem Mucuk in der vergangenen Woche erschossen wurde. Vor Mucuk hatte es noch kein Rocker gewagt, in Deutschland im Namen eines ausländischen Klubs Ansprüche geltend zu machen. Unter Rockern ein Affront.

Unterstützt wurde er bei seinem Neustart von Necati Arabaci, genannt Neco. Er wurde 2004 vom Landgericht Köln zu neun Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen schweren Menschenhandels, Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Zuhälterei. Heute lebt Neco in der Türkei. Von dort soll er großen Einfluss auf die türkischstämmigen Hells-Angels-Mitglieder in Deutschland haben.

Die Auseinandersetzung eskalierte im Mai 2015 erneut

In der Folge gewann der Konflikt zwischen Mucuk und den Frankfurter Hells Angels so sehr an Schärfe, dass der "Welt-Rat" der Rocker-Gruppe einschreiten musste. Die Klub-Chefs beschlossen, dass Mucuk das Gießener Charter gründen darf - eine schwere Demütigung für die alten Anführer aus Frankfurt. Die Machtkämpfe waren damit aber nicht beigelegt: Die Auseinandersetzung eskalierte im Mai 2016 erneut, als Mitglieder des Gießener und des Frankfurter Charters sich in der Frankfurter Innenstadt am helllichten Tag eine Schießerei lieferten. Dabei wurden zwei Rocker verletzt. Dass keine Passanten zu Schaden kamen, gleicht einem Wunder.

Die Auseinandersetzung in Hessen steht beispielhaft für den Transformationsprozess in der Rockerszene. Seit Jahren drängen vor allem junge Kleinkriminelle mit Migrationshintergrund in die Klubs. Besonders in den großen Klubs gelten für die Mitglieder eiserne Regeln. Dazu gehören organisatorische Vorschriften wie verpflichtende Teilnahmen an Treffen. Aber auch Loyalität für den eigenen Klub, Respekt gegenüber den anderen Mitgliedern und Schweigen gegenüber der Polizei. Für diese Grundregeln sollen sich viele der Neumitglieder der großen Klubs allerdings wenig interessiert haben. Auseinandersetzungen wie die zwischen Mucuk und den Frankfurter Bossen spielten sich - wenn auch in kleinerem Umfang - in ganz Deutschland ab.

Während die Klubs früher für Zusammenhalt und Bruderschaft standen, sollen sich die "Neuen" von einem Beitritt vor allem Vorteile für ihre illegalen Geschäfte auf der Straße erhofft haben, behaupten Kenner der Szene. Ermittler gehen davon aus, dass die Rocker im Schulterschluss mit Banden vor allem strategische Vorteile sahen: Schnell groß werden, im Milieu expandieren, gegnerischen Klubs etwas entgegensetzen. Das Landeskriminalamt Hessen schätzt, dass die Rockerszene allein in diesem Bundesland mittlerweile rund 700 Mitglieder umfasst und die Klubs stetig wachsen.

Dafür brachen die Rocker auch mit ihrer Tradition und nahmen Neu-Mitglieder meist sehr schnell auf. Allerdings setzten nicht alle Ableger auf massives Wachstum dieser Art. Einige pochten weiter auf die alten Regeln. Sie stehen heute weitgehend ohne interne Machtkämpfe da.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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