Putins Familie:Sie ist es, sie ist es nicht

  • Viele Indizien sprechen dafür: Katerina Tichonowa, Direktorin der Stiftung "Innopraktika", soll dieselbe Katerina Tichonowa sein, die in der Vergangenheit als Teilnehmerin internationaler Tanzwettbewerbe auffiel - und die Tochter von Wladimir Putin sein soll. Das schreibt ein im Exil lebender, russischer Journalist.
  • Putins Sprecher hat dieses Gerücht bereits vor längerer Zeit dementiert.
  • Ernsthafte Zweifel daran hat in Russland aber kaum noch jemand.

Von Julian Hans

Die große Recherche, die die russische Wirtschaftszeitung RBC Daily am vergangenen Donnerstag veröffentlichte, fand im Land zunächst nur mäßige Resonanz. Das lag am Thema: sperrig, eher etwas für Spezialisten, die Texte mit vielen Zahlen und Darstellungen komplexer Firmengeflechte nicht schrecken.

Auf zwei Seiten trugen vier Autoren zusammen, was sie über die Pläne zur Erweiterung der Moskauer Lomonossow-Universität (MGU) herausgefunden hatten: Auf 340 Hektar soll hinter den Moskauer Sperlingshügeln ein Forschungs- und Innovationszentrum entstehen. Ein Leuchtturm für die seit dem Ende der Sowjetunion stark ins Hintertreffen geratene russische Wissenschaft. Geplante Kosten: immerhin umgerechnet 1,7 Milliarden US-Dollar.

Aber das ist dann doch nicht alles, was zu dem Thema zu sagen wäre.

Im Beirat der MGU wachen über das Projekt Vertraute von Präsident Wladimir Putin; Chefs großer Staatskonzerne, Igor Setschin von Rosneft, Gazprom-Chef Alexej Miller, Wladimir Jakunin, der Präsident der Russischen Eisenbahnen, Andrej Kostin, Chef der staatlichen Bank VTB und einige mehr - wenig überraschend. Bemerkenswert ist aber, wen diese Leute mit der Entwicklung des Riesenprojekts von nationaler Bedeutung beauftragt haben: die "Stiftung für nationale intellektuelle Entwicklung".

Die wurde erst vor einem Jahr gegründet, seitdem ist nichts bekannt über irgendwelche Projekte, die sie durchgeführt haben könnte. Sie firmiert unter dem Namen "Innopraktika", niemand in der Stiftung ist in der Vergangenheit mit wissenschaftlichen Arbeiten oder gar Teilnahme an Konferenzen aufgefallen, die sie für die Konzeption des wichtigsten Innovationszentrums des Landes qualifizieren würden.

Es sei wohl "reiner Enthusiasmus" gewesen, für den der Beirat sie ausgewählt habe, zitiert RBC die stellvertretende Direktorin von Innopraktika, Natalja Popowa: "Katerina brennt für diese Idee. Genau so eine Struktur möchte sie aufbauen, die dem Land Nutzen bringt, die Abwanderung kluger Köpfe stoppt und Innovationen in die russische Industrie trägt".

Katerina?

Putins Sprecher hat früher schon mal dementiert: "Ich weiß nicht, wer das ist."

Katerina Tichonowa, gerade mal 28 Jahre alt, ist die Direktorin von Innopraktika. Einigen aufmerksamen Lesern fiel schon am Donnerstag auf, dass mehr Musik in der Geschichte ist als auf den ersten Blick ersichtlich - im übertragenen wie im direkten Sinne. Es fehlten da wohl einige Namen, merkten sie an.

Was die in Moskau ansässige Redaktion des RBC nicht gewagt hatte, schrieb am nächsten Tag der im Genfer Exil lebende russische Journalist Oleg Kaschin auf seiner Website: Vieles weise darauf hin, dass es sich bei der Frau Direktorin um dieselbe Katerina Tichonowa handele, die in der Vergangenheit als Teilnehmerin internationaler Tanzwettbewerbe auffiel - und von der seit Langem gemunkelt wird, sie sei die jüngere Tochter Wladimir Putins.

Putins Sprecher Dmitrij Peskow hatte dieses Gerücht einst halbherzig dementiert mit den Worten: "Ich weiß nicht, wer das ist. Ich kann das nicht beurteilen, ich weiß es nicht. Viele Mädchen haben sich schon als Töchter von Wladimir Putin ausgegeben." Tichonowa, so argumentiert Kaschin, habe den Vaternamen ihrer Großmutter als Nachnamen angenommen. Die Mutter von Putins Frau Ljudmila, von der er sich im vergangenen Jahr scheiden ließ, hieß Jekaterina Tichonowna.

Bevor sie die Innovationsförderung entdeckte, war Katerina Tichonowas Leidenschaft der akrobatische Rock'n'Roll. In zahlreichen Wettbewerben ist sie mit ihrem Partner Iwan Klimow aufgetreten, viele Videos davon sind auf Youtube zu finden. Im März 2014 wurde Katerina Tichonowa auf einer Versammlung der "World Rock'n'Roll Confederation" zur Vizepräsidentin gewählt.

Würde Putin ein so großes Projekt einer jungen Unbekannten anvertrauen?

Der Name ihres Tanzpartners Iwan Klimow taucht nun auch in der Entwicklungsgesellschaft für die MGU wieder auf: Klimow ist Mitglied der Leitung der von Tichonowa geführten "Stiftung für nationale intellektuelle Entwicklung".

Dafür, dass es sich bei den beiden Tichonowas um ein und dieselbe Person handelt, spricht auch ein Bericht auf der Website der Universität über eine Reise Tichonowas nach Südkorea, auf der Kontakte für Wissenschaft und Sport hergestellt werden sollten. Die russische Delegation habe dort den akrobatischen Rock'n'Roll vorgeführt und damit die Koreaner begeistert, heißt es. Und, falls noch ein Indiz nötig ist: Lange hatten sich zuvor Gerüchte gehalten, eine Tochter Putins lebe in Südkorea.

Zwar bleibt der Journalist und Aufdecker Kaschin den letzten Beweis schuldig, dass es sich bei Tichonowa tatsächlich um Putins Tochter handelt. Ernsthafte Zweifel daran hat in Russland aber kaum noch jemand. Es wäre ja doch sehr verwunderlich, wenn der russische Präsident ein so bedeutendes Projekt an eine völlig unbekannte 28-Jährige vergeben würde.

Es ist nun sogar so: Es sei traurig, schreibt Oleg Kaschin, dass der "allrussische Papa" nach 15 Jahren an der Macht niemand anderem mehr vertraue als seiner leiblichen Tochter.

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