Prozessbeginn Costa Concordia:"Unvorsichtigkeit, Nachlässigkeit, Unerfahrenheit"

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Im Januar 2012 hat Francesco Schettino die "Costa Concordia" auf einen Felsen gesetzt, 32 Passagiere sind damals ums Leben gekommen. Nun beginnt der Prozess gegen den Kapitän. Die Anklage berichtet von haarsträubenden und chaotischen Zuständen auf der Brücke des Kreuzfahrtschiffes.

Von Andrea Bachstein, Rom

Über die Tragödie wird in einem Theater verhandelt werden, und man kann sicher sein, dass es dramatische Momente geben wird in diesem Prozess um den Untergang der Costa Concordia. An diesem Dienstag soll er in Grosseto beginnen - es sei denn, ein Streik der italienischen Anwälte lässt dem Gericht keine andere Wahl, als den ersten Verhandlungstag um eine Woche zu verschieben. Vom einzigen Angeklagten, der im Teatro Moderno der toskanischen Provinzhauptstadt vor dem Richter stehen muss, wird es während der Verhandlungen keine Fernsehbilder geben. Das hat Francesco Schettino untersagen lassen, der Kapitän, der sich früher so gerne fotografieren ließ, als braun gebrannter Kommandant mit fröhlichen Passagieren posierend.

Der 52-Jährige aus Meta di Sorrento, der im Ausland teilweise als Ausgeburt sämtlicher Negativklischees von Italienern stilisiert worden ist, hat das Kreuzfahrtschiff bei einer absurden, misslungenen Abweichung vom geplanten Kurs am 13. Januar 2012 vor der toskanischen Insel Giglio auf Felsen gesetzt. "Aufgrund von Unvorsichtigkeit, Nachlässigkeit, Unerfahrenheit und unter Verletzung von Gesetzen, Regeln, Befehlen und Disziplin", so steht es in der 104 Seiten langen Anklageschrift. Die Zahlen aus den Gerichtsakten erzählen nicht vom Leid, das diese Katastrophe für Hunderte Menschen bedeutet. Die Geschädigten: 4228 physische Personen und 31 juristische. Von ihnen treten 242 als zivile Nebenkläger auf, 62 Rechtsanwälte vertreten sie.

Die Todsünde eines Schiffsführers

Es geht hier um die Verantwortung für den Tod von 32 Menschen, die nicht zurückgekehrt sind von der Mittelmeerkreuzfahrt "Duft der Zitrusfrüchte". Zwölf der Opfer kamen aus Deutschland, und zwei Tote konnten trotz aller Anstrengungen nie geborgen werden. 110 Menschen wurden verletzt, und von den Überlebenden leiden viele noch immer an Traumata und an den damaligen Todesängsten, die sie durchmachten beim Kentern und der chaotisch verlaufenen Evakuierung des riesigen Schiffs. Der Kapitän verzögerte die Rettungsmaßnahmen, nie funkte er den Notruf SOS, und er beging die Todsünde eines Schiffsführers, indem er die Concordia verließ, ehe alle Passagiere in den Booten waren. Und so wie es aussieht, wollte er auch elektronische Beweismittel verschwinden lassen.

Francesco Schettino, 52, werden folgenreiche Verfehlungen vorgeworfen.  (Foto: afp)

15 bis 20 Jahre Haft könnten Schettino drohen. Mehrfache fahrlässige Tötung und Körperverletzung, eine schuldhafte Havarie und Verlassen des Schiffs werden ihm vorgeworfen. Der Ex-Kapitän, der mit zwei Verteidigern antreten wird, sieht sich als einer, der dank seines seemännischen Könnens nach dem Unglück Tausende gerettet habe. Und als Sündenbock, dem Versäumnisse der Reederei Costa aufgeladen werden sollen. Er hätte gerne auch ein Vergleichsverfahren bei der Staatsanwaltschaft erreicht, wie es die fünf weiteren Beschuldigten erreicht haben, die als Schettinos Offiziere in der Katastrophennacht im Dienst waren.

Gegen fünf Manager der Reederei laufen Ermittlungsverfahren, die auch vom Ausgang des Prozesses gegen Schettino abhängen. Die Frage ist, ob sie für technische Mängel der Concordia und für möglicherweise unzureichende Sicherheitstrainings der Mannschaft verantwortlich gemacht werden können. Die Anklage gegen Schettino basiert auf Hunderten Zeugenvernehmungen, den aufgezeichneten Funkkontakten und Telefonaten, der Auswertung der Blackbox und Videos. Daraus haben die Ermittler in Minutenprotokollen zu rekonstruieren versucht, was sich abgespielt hatte, ehe die Concordia an jenem 13. Januar um 21:42 Uhr auf den Felsen auflief.

Haarsträubende Zustände auf der Brücke kamen zum Vorschein. Es gab sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten mit dem Steuermann, die Befehle gingen durcheinander. Und Leute, die nichts dort zu suchen hatten, hielten sich in der Kommandozentrale auf, wie die deshalb als angebliche Geliebte Schettinos berühmt gewordene moldauische Ex-Hostess Domnica Cemortan. Viel zu spät, erst um 22:33 Uhr, gab es Notfallalarm auf dem Schiff, obwohl sofort massiv Wasser eindrang, und noch länger versuchte Schettino gegenüber Behörden die dramatischen Ausmaße des Unglücks zu verschweigen.

Die Bergung wird zur Mammutaufgabe

Domenico Pepe, einer der Anwälte Schettinos, kündigte an, weitere Ermittlungen zu verlangen. Tausende Aspekte seien noch nicht geklärt. Oberstaatsanwalt Francesco Verusio - er hatte während der Vernehmungsphase die Aussagen Schettinos einmal als "verstörend" bezeichnet - reagierte auf die Ankündigung des Anwalts gelassen: Das sei nur der Versuch eines Verschleppungsmanövers.

Das Wrack der 290 Meter langen Costa Concordia ist unterdessen zur Touristenattraktion geworden. Der riesige Schiffsrumpf liegt halb unter Wasser direkt vor dem Felsufer der Insel. Die Insel und das Meeres-Naturschutzgebiet hat Glück im Unglück gehabt, die befürchtete Umweltkatastrophe ist ausgeblieben, vor allem weil die Tanks mit Hunderttausenden Litern Treibstoff abgepumpt werden konnten. Das Wrack soll im Ganzen von Giglio weggeschleppt werden. Es ist eine immense technische Herausforderung, noch nie hat man das mit einem so großen Schiffskörper versucht. Unter Wasser sind Fundamente und mächtige Gerüste gebaut worden, derzeit werden Stahltanks an den Seiten der Concordia befestigt, durch deren Flutung sie erst aufgerichtet werden soll und die dann für Auftrieb sorgen sollen. 68 Prozent der Bergungsarbeiten sind für die Concordia jetzt geschafft. Was eher zu Ende gebracht sein wird, ihre Bergung oder der Prozess um ihren Untergang, lässt sich im Moment nicht sagen.

© SZ vom 09.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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