Prozess:Technik von vorgestern

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Das Stellwerk in Bad Aibling war veraltet, dennoch hätte der Fahrdienstleiter das Zugunglück verhindern können.

Von Annette Ramelsberger, Traunstein

Die Stellwerkstechnik in Bad Aibling hätte seit 1984 nachgerüstet werden sollen - was nie geschah, der Bahn fehlte das Geld. Der Stelltisch, an dem der Fahrdienstleiter die Züge auf der eingleisigen Strecke zwischen Kolbermoor und Bad Aibling überwachte, hatte einen Schaltfehler. Und auch die Zugstrecken auf diesem Tisch wurden nicht vollständig ausgeleuchtet, sondern blieben zum Teil dunkel. Das alles sind technische Fehler, die bisher nicht bekannt waren im Prozess gegen den Fahrdienstleiter, der schuld sein soll am tödlichen Zugunglück von Bad Aibling. Dennoch erklärte ein Sachverständiger des Eisenbahnbundesamts am Montag vor Gericht, diese technischen Unzulänglichkeiten seien nicht schuld an dem Unglück, sondern: "Das Stellwerk hat so reagiert, wie es reagieren muss. Eine Fehlfunktion haben wir nicht." Aber: Der angeklagte Fahrdienstleiter habe die Regeln verletzt. Hätte er die Vorschriften eingehalten, wäre es nicht zu dem Unglück mit zwölf Toten und 89 Verletzten gekommen.

Der Angeklagte Michael P. steht in Traunstein wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, trotz Verbots sein Smartphone im Dienst benutzt und darauf ein Handyspiel gespielt zu haben. Dadurch sei er abgelenkt gewesen und habe zwei Züge auf die eingleisige Strecke geschickt. Die Züge stießen am Morgen des 9. Februar zusammen.

Der Staatsanwalt fragte den Sachverständigen: "Wurden elementare Regeln verletzt?" - "Ja, der Fahrdienstleiter arbeitet nach der Richtlinie 408. Das ist die Bibel für den Fahrdienstleiter." Und eine Vorschrift in dieser Bibel heißt, dass ein Fahrdienstleiter erst prüfen muss, ob eine Strecke frei ist, bevor er einem Zug Grün gibt.

Was allerdings auch klar wurde: Solange alles glatt läuft, funktioniert das Stellwerk, das schon 1971 eingerichtet wurde. Sobald aber ein Problem auftaucht, wird es unübersichtlich. "Da wird einem Fahrdienstleiter ganz schön viel abverlangt", sagte der Sachverständige Rüdiger Muschweck. Vor allem seien die Regeln für die Überprüfung der Strecken widersprüchlich - die im Handbuch des Fahrdienstleiters vorgesehenen Signale seien für den Streckenabschnitt gar nicht vorgesehen gewesen. "Was soll mein armer Fahrdienstleiter für Bestimmungen anwenden?", fragte der Sachverständige. Er "hängt irgendwie in der Luft".

Der Sachverständige sprach von gleich mehreren Fehlern des Angeklagten: "Nach jedem Schritt hätte man eindeutig feststellen müssen, da passt etwas nicht." Dennoch hatte der Fahrdienstleiter zweimal ein Sondersignal gesetzt, um den Zug auf die Strecke zu schicken, und damit das funktionierende System überwunden. Er hatte das zu Beginn des Prozesses eingeräumt.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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