Prozess:"Jüngelchen"

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Ein Beamter des LKA untersucht im April den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

Ja, es stimmt alles, dass er die Bomben gebaut und gezündet hat, sagt der 28-jährige Angeklagte Sergej W. beim zweiten Prozesstag um den Bombenanschlag auf den BVB. Doch er habe niemanden töten wollen.

Von ANNETTE RAMELSBERGER

Er spricht ganz schnell, als wolle er es möglichst rasch hinter sich bringen. "Ich bedaure mein Verhalten zutiefst", sagt Sergej W., der angeklagt ist, am 11. April 2017 einen Bombenanschlag auf die Mannschaft des Fußballvereins Borussia Dortmund (BVB) verübt zu haben. Er könne sich nicht erklären, wie er dazu gekommen sei.

Dann gibt der Angeklagte zu, dass er die Sprengvorrichtung hergestellt, in einer Hecke am Mannschaftshotel deponiert und gezündet hat. Dass er einen Absturz der BVB-Aktie erreichen wollte, um mit riskanten Optionsgeschäften Gewinne zu erzielen. Ja, das stimme alles, sagt er. Aber eines, das habe er gewiss nicht gewollt, das, was ihm die Anklage vor allem vorwirft: 28-fachen Mordversuch an den Spielern und Trainern und Begleitern der BVB-Mannschaft. Immerhin war der Profi Marc Bartra bei der Explosion am Arm verletzt worden. Ein Polizist, der den Bus mit Motorrad begleitete, erlitt ein Knalltrauma.

Der Verteidiger beschreibt den Angeklagten als seelisch labil, als leidend, als lebensmüde

"Ich wollte einen Anschlag nur vortäuschen", sagt Sergej W. am Montag, dem zweiten Prozesstag. "Ich habe die Sprengvorrichtung extra so konstruiert, dass ein Personenschaden nicht zu erwarten war." Er habe niemanden verletzen wollen, schon gar nicht schwer und auf keinen Fall jemanden töten.

Sergej W. ist 28 Jahre alt, aber er wirkt jugendlich. Dünn, blass, mit blondem kinnlangen Haar. Auf den ersten Blick könnte man ihn für ein Mädchen halten. "Das Jüngelchen", nannte ihn eine Serviererin aus dem Mannschaftshotel, wo er sich eingemietet, wo er die Bomben gezündet hatte.

Nun sitzt er vor dem Landgericht Dortmund und spricht. Kurz nur, mit starkem osteuropäischen Akzent. Sergej W. ist in Russland geboren und erst mit 13 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Um seine Familie ist ihm bange. "Ich entschuldige mich zutiefst bei allen im Bus, vor allem bei den verletzten Spielern und bei meiner Familie, für das, was ich ihnen angetan habe", sagt er schnell. Dann reden nur noch seine Anwälte.

Und die wollen die Tat, die die BVB-Spieler am 11. April in Todesangst versetzt hat, nur als "Bedrohungsszenario" sehen, das nicht wirklich so schlimm gewesen sei, wie es die Spieler erlebt haben. Dem Angeklagten sei es darum gegangen, durch "einen möglichst realitätsnahen Anschlag" ein Bedrohungsszenario aufzubauen, das den Aktienkurs des BVB nachhaltig schwächen sollte. Ansonsten gibt er alles zu, was in der Anklage steht: dass er 40 000 Euro Kredit aufgenommen hat, um sich die Aktienspekulationen gegen den BVB leisten zu können. Dass er die Sprengvorrichtungen gebaut hat, die in der Hecke versteckt waren. Dass er sie gezündet hat.

Dann überreicht Anwalt Carl Heydenreich ein kleines Modell der Sprengsätze. Sergej W. hat es auf sein Bitten hin in der Haft für das Gericht gebastelt, damit man sich die Bomben besser vorstellen kann. Der Anwalt stellt es auf den Richtertisch. Drei kleine Schachteln aus Pappe, hintereinander geklebt. Ganz hinten die Sprengladung, dazwischen sollen die Metallstifte geklebt haben, die in den Bus und das Haus gegenüber einschlugen. Da steht das Schächtelchen, der Richter hat es hochkant aufgestellt. Es sieht harmlos aus, fast putzig. "Wie eine selbst gebastelte Uhrenschachtel", sagt der Richter.

Die Bilder vom Tatort sind gar nicht putzig. Metallschrapnelle durchschlugen die Glasfront eines Nachbarhauses. Sie steckten in der Holzverkleidung im Giebel. Sie drangen in Autos am Weg ein und lagen noch in 250 Metern Entfernung im Feld. Und ein Schrapnell steckte in der Kopfstütze neben Marc Bartra. Ein Experte des BKA hat errechnet, dass die Schrapnelle am Ort der Explosion eine Energie von 135 Joule entwickelt hätten. Bereits beim Auftreffen auf einen Körper mit der Energie von 79 Joule könne das tödlich sein.

Aber es sollte ja nicht tödlich sein, sagen Sergej W.s Verteidiger. Er, der versierte Elektronikmeister, habe die Streuwirkung der Sprengsätze unterschätzt. Er habe die Bomben auch nicht ausgelöst, als der Bus mit der Mannschaft zum Hotel gefahren sei - denn da seien Passanten auf dem Weg gewesen. Die habe er nicht verletzen wollen. Deshalb habe er die Bomben erst bei der Abfahrt des Busses gezündet.

Das kann man schlecht widerlegen.

Nachweisen lässt sich dafür, dass Sergej W. nach dem Anschlag auf den BVB, der nur einen geringen Ausschlag der Aktien brachte und deshalb nur 5800 Euro Gewinn, nach neuen Möglichkeiten suchte, um Geld zu machen. Auf seinem Computer fand die Polizei Google-Anfragen: nach Aktiengesellschaften, die durch einen Anschlag verletzbar wären. Es fand sich da die Suche nach der Karwendel-Bahn AG, der Nebelhorn-Bahn AG. Und nach der Aktiengesellschaft des Euro-Tunnels. "Für uns war die Hypothese: Hat er Überlegungen angestellt weiterzumachen? Gibt es noch mehr Sprengsätze?", sagt Timo Spruck, der Ermittlungsführer des BKA vor Gericht. Gesucht hat die Polizei nach eventuellen Bomben. "Gefunden haben wir keine."

Das Geld, deutet Verteidiger Heydenreich an, war wohl auch nicht für Sergej W. selbst bestimmt. Heydenreich beschreibt den Angeklagten als seelisch labil, als leidend, als lebensmüde. Heydenreich sagt: "Er wollte seinen Eltern etwas hinterlassen, sollte er aus dem Leben scheiden."

Sergej W. schaut still in die Ferne.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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