Prozess in Brandenburg:Dreifachmörder kann sich an nichts erinnern

Prozess gegen 25-Jährigen wegen Mordes an zwei Polizisten

Jan G. hat im Februar drei Menschen ermordet. Nun muss er sich vor Gericht verantworten.

(Foto: dpa)
  • Am Landgericht Frankfurt (Oder) wird eines der schwersten Verbrechen in Brandenburg der vergangenen Jahre verhandelt.
  • Ende Februar erstach Jan G. seine Großmutter, dann überfuhr er mit dem Auto zwei Polizisten. Er ist wegen dreifachen Mordes angeklagt.
  • Warum sich der psychisch kranke Wiederholungstäter im Februar frei bewegen konnte, muss im Prozess geklärt werden.

Aus dem Gericht von Verena Mayer, Frankfurt (Oder)

Der Verhandlungstag ist schon fast vorbei, als der Angeklagte plötzlich zu reden beginnt. So, als sei er aus einer Starre erwacht. Jan G. sagt, dass er das alles nicht verstehe. Dass er die Bilder in seinem Kopf nicht mit den Bildern zusammenbringe, die er einmal auf einem Video gesehen habe. Die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus, aber sie ergeben keinen Sinn. Bevor er wieder in seiner Starre versinkt, sagt G. noch: "Ich bin schwierig."

Am Landgericht in Frankfurt (Oder) wird an diesem Dienstagmorgen eines der schwersten Verbrechen in Brandenburg der vergangenen Jahre verhandelt. Ende Februar tötete Jan G. drei Menschen. Erst erstach er seine Großmutter, dann überfuhr er mit dem Auto zwei Polizisten. "Er hat besonders schwere Schuld auf sich geladen", sagt der Staatsanwalt, der Jan G. wegen dreifachen Mordes angeklagt hat.

Jan G., 25, kurzes, schwarzes Haar, blasses Gesicht, hört ihm zu, ohne sich zu rühren. Er trägt Jeans und eine schwarze Bomberjacke, darunter ein enges weißes Hemd mit Krawatte, er sieht aus, als habe er sich für eine Party zurecht gemacht und frage sich, wo er stattdessen gelandet sei. Nur manchmal guckt er zu den vier Männern, die neben ihm auf der Anklagebank Platz genommen haben. Es sind seine Bewacher.

Jan G. ist mehrfach vorbestraft

Denn Jan G. ist nicht das erste Mal in diesem Gerichtsgebäude, er ist als psychisch kranker Wiederholungstäter mehrfach vorbestraft. Jan G. hat gestohlen und Einbrüche begangen, er hat eine Verkäuferin geschlagen, einem Mann an der U-Bahn-Station ein Messer in den Hals gestochen und einen Schaffner in der Bahn niedergeprügelt, einfach so. Er hat seiner Mutter mehrmals mit dem Tod gedroht, er hat vor ihrem Lebensgefährten ein Klappmesser gezogen und gesagt, er würde ihm damit den Hals abschneiden.

Ein Staatsanwalt hat Jan G. deswegen schon vor einem Jahr als "erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit" bezeichnet, ein Gericht hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Warum sich Jan G. im Februar dennoch frei bewegen konnte, ist eine der vielen Fragen, die dieser Prozess wird klären müssen.

Doch erst verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift. Allein die Taten, die Jan G. auf der Flucht vom Haus seiner Großmutter beging, umfassen Seiten. Jan G. fuhr als Geisterfahrer über eine Landstraße, beschädigte entgegenkommende Fahrzeuge, rammte parkende Autos, kollidierte mit einem Pkw, raste gegen eine Einbahn, überholte trotz Gegenverkehr und kidnappte ein Auto, dessen Fahrer sich in letzter Minute in Sicherheit bringen konnte.

Als er an der Landstraße vorbeikam, auf der sich zwei Polizeibeamte postiert hatten, um ihn mit einem Nagelbrett zu stoppen, raste G. mit 160 Stundenkilometern auf die Männer zu, "bestimmt von Tötungsabsicht", so der Staatsanwalt. Die Polizeibeamten, 49 und 52 Jahre alt, beide dreifache Väter, starben noch an der Unfallstelle. Einem der Männer wurde beim Aufprall der Kopf abgetrennt.

"Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Kopf ist alles anders"

Seine Frau ist ebenfalls zum Prozess gekommen. Schwarz gekleidet sitzt sie neben einer Notfallseelsorgerin, die ihr immer wieder über den Arm streicht, als der Staatsanwalt die Anklageschrift verliest. Die Frau hat Tränen in den Augen, doch sie richtet ihren Blick die ganze Zeit auf Jan G. Als könne sie endlich die Antwort auf die Frage erhalten, warum ihr Mann im Dienst sterben musste. Doch sie bekommt nur viele zusammenhanglose Sätze zu hören, als Jan G. sich an sie wendet.

"Ich kann mich nicht entschuldigen", sagt er, "ich kann nur sagen, dass es mir leid tut." Er wisse nicht, warum er auf die Polizisten zugerast sei und ob er überhaupt auf der Straße gewesen sei, "ich kann mich nicht erinnern, in meinem Kopf ist alles anders". Er wisse, dass die Polizisten keine Chance hatten zu reagieren, sagt Jan G. "Aber ich hatte auch wenig Zeit, eine Entscheidung zu treffen." Und dann kommt wieder einer dieser wirren Sätze: "War es überhaupt eine Entscheidung oder eine Handlung wie bei Oma?"

Der psychiatrische Sachverständige wird in seinem Gutachten klären müssen, woran Jan G. leidet und inwiefern eine psychische Krankheit seine Taten beeinflusst hat. Aus früheren Gerichtsentscheidungen weiß man, dass Jan G. in äußerst schwierigen Verhältnissen aufwuchs. Sein Vater starb, als er drei Jahre alt war, seine Mutter hatte wechselnde Lebensgefährten. Einer von ihnen missbrauchte Jan G. und seine Schwestern über mehrere Jahre hinweg. Jan G. wurde früh verhaltensauffällig, mit zehn kam er das erste Mal in eine jugendpsychiatrische Klinik. Später wurde er in einem Kinderheim untergebracht, in dem er aber nicht bleiben durfte, nachdem er mehrere Einbrüche begangen hatte.

In Behandlung wegen Schizophrenie

Er kam wieder bei seiner Mutter unter, nahm Drogen, galt als suizidgefährdet. Seit 2013 war er zudem wegen Schizophrenie in Behandlung und sollte Medikamente nehmen, was er aber nicht tat. Und seit er 15 ist, hat er immer wieder Gewalttaten begangen. Zuletzt wurde er im November 2016 zu einer Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt, die aber auf Bewährung ausgesetzt wurde. Ein Gutachter hatte bei Jan G. eine "gute therapeutische Beeinflussbarkeit" festgestellt, und die Hürden, um jemanden bei einer positiven Prognose in die Psychiatrie einzuweisen, sind hoch.

Wenige Wochen später stand Jan G. wieder einmal unter Drogen, als er seine Großmutter in ihrem Haus im brandenburgischen Müllrose besuchte. Er wollte duschen, doch die Badewanne war vollgeräumt. Die beiden begannen zu streiten, Jan G. schüttete seiner Großmutter erst Honig über den Kopf, dann begann er, sie zu schlagen, zu treten und zu würgen. Als sie telefonieren wollte, holte er ein Küchenmesser und stach ihr in den Has. Die Frau verblutete, Jan G. flüchtete in ihrem Auto.

Seine Mutter, die ebenfalls Nebenklägerin ist, fehlt im Prozess. Ihr Anwalt sagt, sie sei krebskrank, kürzlich sei ihr Lebensgefährte verstorben, "ich habe einen gebrochenen Menschen erlebt". Und er erzählt, dass die Mutter sich immer wieder an die Behörden gewandt und auf die Gefährlichkeit ihres Sohnes hingewiesen habe, vergebens. "Die Vorzeichen waren zu 200 Prozent gegeben", sagt der Anwalt. "Die Behörden, die sich hier geirrt haben, werden eine lange Zeit nicht schlafen können". Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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