Prozess:Gerichtspädagogik

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Er soll nun eine Fortbildung zum Umgang mit renitenten Schülern absolvieren: Musiklehrer Philipp P. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Ein Musiklehrer wird zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er Schülern den Weg aus dem Klassenzimmer versperrt hat.

Von Bernd Dörries, Neuss

Der Saal 130 des Amtsgerichtes Neuss war früher einmal der Musiksaal eines Gymnasiums, und Richter Heiner Cöllen war einst einer von denen, die den Musiklehrern das Leben zur Hölle gemacht haben. Es wird also sowohl in passender als auch kundiger Umgebung verhandelt gegen den Musiklehrer Philipp P., dem die Staatsanwaltschaft Körperverletzung und Freiheitsberaubung vorwirft. "Die Klasse war zur Tatzeit unruhig", fasst der Ankläger noch einmal jenen Tag im April vergangenen Jahres zusammen, der so begann wie viele Stunden an deutschen Schulen. Und so endete wie kaum ein anderer - vor Gericht.

Dort erzählt ein Schüler am Mittwoch noch einmal, wie das war damals. Der Lehrer wollte ihnen etwas näherbringen, die Schüler hatten keine Lust darauf. Der Lehrer ließ die Klasse den Wikipedia-Eintrag zu Paganini abschreiben, den er auf dem Computer geladen hatte. Einige Schüler schrieben mit, andere nicht. Der Lehrer setzte sich mit seiner Gitarre in den Türrahmen und ließ nur diejenigen durch, die auch ihre Abschrift fertig hatten. Die anderen nicht. Es kam zu Rangeleien, die Polizei wurde gerufen.

"Es hat keinen pädagogischen Wert, einen Text abzuschreiben", sagt der Staatsanwalt erst einmal grundsätzlich, obwohl das gar nicht Teil der Anklage ist. Das könne man so pauschal nicht sagen, sagt der Lehrer. Aus dem Text könnten sich Fragen ergeben.

So oder so sei es nicht gerechtfertigt gewesen, die Schüler nicht aus der Klasse zu lassen, ihnen den Weg mit dem Gitarrenhals zu versperren, sagt der Ankläger und fordert eine Geldstrafe von 1500 Euro. Er habe die Gitarre mitgebracht, sagt der Lehrer, und könne zeigen, dass man mit einer Gitarre in einem Türrahmen sitzen kann und Schüler gleichzeitig den Raum verlassen könnten. Sein Anwalt sagt, es sei "gesellschaftliche Grundaufgabe", den jungen Leuten beizubringen, wie man beim Verlassen des Klassenraumes eine Schlange bilde. Alles andere führe quasi ins gesellschaftliche Verderben, man könne doch jeden Tag beim Bäcker sehen, was passiere, wenn die Leute keine ordentliche Schlange mehr bilden könnten. Die jungen Leute hätten das Klassenzimmer verlassen können, nur eben geordnet, in einer Schlange, das hätten sie nicht hinbekommen. Der Anwalt fordert Freispruch. Richter Heiner Cöllen sagt: "Für ihren schweren Job habe ich vollstes Verständnis, wir leben in einer Zeit, in der die staatliche Autorität auch gelegentlich unterlaufen wird." Es ist ein Satz wie ein Seufzer. Er sehe es ja selber ständig, man habe es heutzutage mit einer "Verwöhnpädagogik" zu tun, die lauter "Prinzen und Prinzessinnen" hervorbringe.

Trotzdem müsse er den Angeklagten zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt verurteilen, zu 1000 Euro Geldstrafe, die entfällt, wenn der Lehrer eine Fortbildung zum Umgang mit schwer disziplinierbaren Schülern absolviere. Gebe es solche Fortbildungen nicht, so müsse der Dienstherr sie schaffen. "Ich bin offen für Tipps", sagt der Lehrer.

© SZ vom 25.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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