Prozess:Foul Play

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Im Jugendfußball wird aus Spaß auch schnell mal Ernst. (Foto: imago/blickwinkel)

Hexenkessel Freizeitsport: Wie großer Ehrgeiz, Lügen und Hass in einer Berliner Jugend-Fußballmannschaft schließlich vor Gericht gelandet sind - und gleich mehrere Karrieren zerstört haben.

Von Verena Mayer

Was sich in einer Jugendmannschaft des Berliner Fußballvereins BFC Dynamo abgespielt hat, muss der Horror gewesen sein. Zumindest, wenn man die Anklageschrift des Amtsgerichts Tiergarten liest. Zwei junge Trainer sollen zehnjährige Jungs gequält, erniedrigt und sich dabei "in einen Zustand der sexuellen Erregung versetzt" haben. Sie sollen die Kinder gezwungen haben, sich auszuziehen, Geschlechtsteile zu lecken und Urin zu trinken. Danach sollen sie ein "Klima der Angst" verbreitet haben, damit niemand von den Taten erfährt. Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Prozess wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen ist enorm. "Trainer der Schande", titelt die Berliner Boulevardpresse.

"Diese Anklage hat uns alles kaputtgemacht", sagt Jugendtrainer Dardan K.

Nun, nach vier Monaten Prozess, ist von den Vorwürfen nicht viel übrig. Das Amtsgericht stellt das Verfahren am späten Mittwochnachmittag ohne Auflagen ein. "Es gab kein Sexualdelikt", sagt die Staatsanwältin. Nicht viel übrig ist allerdings auch von den Karrieren der Fußballtrainer Dardan K. und Simon G. Zwei Männer Mitte zwanzig, die in Jeans und Sneakers auf der Anklagebank sitzen, als wollten sie noch zum Training. Sie werden aber vermutlich nie wieder einen Job als Trainer bekommen, auf Berliner Fußballplätzen können sie sich nicht mehr blicken lassen. "Diese Anklage hat uns alles kaputtgemacht", sagt Dardan K.

Die Geschichte spielt im Jugendfußball. Einem Milieu, in dem die Vereine Füchse Berlin, 1. FC Wilmersdorf oder SC Staaken heißen. Wo man sich an Samstagvormittagen auf abgelegenen Sportplätzen zu Spielen trifft, bei denen es um nicht besonders viel geht. Und doch liegt viel Druck auf diesem Sport. Er kommt von Trainern und Vereinen, vor allem aber von Eltern, die in ihren Sprösslingen oft mehr sehen, als diese sich selbst je zutrauen würden.

Der BFC Dynamo gehört zu den Vereinen, die im Jugendfußball als Sprungbrett gelten. Wer dort spielt, ist zwar noch nicht oben, hat aber Chancen, in einen besseren Verein zu kommen, vielleicht sogar zu Hertha BSC. Davon träumte auch Aslan. Ein dunkelhaariger Junge in Jeans und Sweater, der älter aussieht als 13, zu seinem Gerichtstermin kommt er direkt von einem Schulturnier. Vor allem aber träumt sein Vater davon. 46 und arbeitslos, meistens sitzt er im Zuschauerraum. Nur einmal kann er nicht kommen, weil er selbst in ein Strafverfahren verwickelt ist und in Untersuchungshaft saß.

"Immer der beste Spieler, ein Leistungsträger", sagt Aslans Vater.

2015 spielte sein Sohn in der D-Jugend des BFC Dynamo. "Er war ein Top-Fußballer", sagt Aslans Vater, "immer der beste Spieler, ein Leistungsträger." Er fand, dass der Platz seines Sohnes in der Leistungsmannschaft war, die Trainer Dardan K. und Simon G. sahen das anders. Aslan blieb in der dritten Mannschaft, wurde bei manchen Spielen nicht aufgestellt. Immer wieder beschwerte sich Aslans Vater beim Vereinsvorstand darüber. Er kritisierte die Trainingsmethoden, sagte, sein Sohn müsse zu viel laufen, werde angebrüllt. Es stimme, er sei streng, sagt Dardan K. "Aber wir hatten großen Erfolg, Eltern kamen zu mir und wollten, dass ihre Kinder in meine Mannschaft wechseln."

Und da war dieses Trainingslager im Sommer 2015 in Rostock. Nach einem Spiel gingen die meisten Jungs auf ihre Zimmer, fünf Zehnjährigen war langweilig. "Da kamen wir auf die Idee, zu den Trainern aufs Zimmer zu gehen und dort zu chillen", sagt Jan, einer der Jungs. Die Trainer waren mit ihren Handys beschäftigt, irgendwann seien die Jungs auf die Idee gekommen, "Wahrheit, Pflicht, Konsum" zu spielen, "das ist so ein Spiel, das in der Kindheit hip ist", sagt Jan. Einer denke sich dabei Aufgaben aus, die ein anderer ausführen müsse, "lustige, aber auch eklige Sachen". Sie hätten die Heizung und einen Badelatschen ablecken müssen. Ein Junge habe einen Schluck Toilettenwasser trinken, ein anderer im Stehen die Hose runterziehen müssen, während ein Junge auf dem Boden lag und Sit-ups machte. Nach vierzig Minuten sei das Spiel zu Ende gewesen, sagt Jan. Das Turnier am nächsten Tag hat die Mannschaft gewonnen.

Bekannt wurden die Vorfälle erst ein Jahr später, im Mai 2016. Als Aslans Vater und andere Eltern sich wieder über die Trainer beschwerten, wurde ein Vater dabei so heftig, dass der Verein eine Entschuldigung von ihm forderte. "Warum so spät?", fragt der Richter den 13-jährigen Aslan. Weil es da ein Turnier gegeben habe, bei dem Chelsea und der FC Bayern waren, sagt Aslan, "und ich durfte nicht spielen, obwohl ich wollte. Da kam alles aus mir raus." Sein Vater erzählte dem Jugendleiter des Vereins davon, der konfrontierte die Trainer mit den Vorwürfen. Simon G. und Dardan K. gaben alles zu. Die beiden wurden sofort suspendiert und bekamen Hausverbot, der Verein informierte die Eltern und setzte einen Kinderschutzbeauftragten ein.

Hier hätte die Geschichte eigentlich zu Ende sein können. Doch Aslans Vater wollte, dass die Männer vor Gericht kommen, und zeigte sie an. Dem Verteidiger zufolge seien die Trainer von der Polizei nicht einmal angehört worden, und sie hätten keine Akteneinsicht bekommen. Dafür wurde die Geschichte immer gruseliger, je öfter sie im Verein weitererzählt wurde. "Ich hatte den Eindruck, dass jemand vergewaltigt wurde", sagt ein Vater.

Am Ende des Verfahrens gehen alle als Verlierer aus dem Gerichtssaal

Zweieinhalb Jahre später muss nun der Amtsrichter herausfinden, was im Trainingslager wirklich passiert ist. Die Jungs sind als Zeugen geladen. Einer fand es "ganz lustig", ein anderer erzählt, dass es die Aufgabe gab, einen Penis zu lecken, er wisse aber nicht, wer das gefordert habe, und es sei auch nicht gemacht worden. Die Trainer hätten sie zu nichts gezwungen, sondern stattdessen das Spiel beendet, indem sie sich selbst Saft über den Kopf kippten und aus einer Flasche Haarwachs tranken. Wie er das fand, fragt der Richter einen Jungen. "Nicht so schön", sagt der. Er spielt seither nicht mehr Fußball.

So etwas dürfe nicht vorkommen, sagt der Richter, bevor er das Verfahren einstellt. "Wenn man die Aufsicht hat, geht es darum, eine klare Haltung zu zeigen." Dinge wie auf dem Hotelzimmer seien aber auch nicht strafbar, solange sie freiwillig geschehen, was hier wohl der Fall war. Und so gehen am Ende alle als Verlierer aus dem Saal. Die Eltern, die das Gefühl haben, dass ihre Kritik an den Trainingsmethoden vom Verein nicht gehört wurde. Jungs, die keine Lust mehr haben, Fußball zu spielen. Und zwei junge Männer, die eigentlich nichts lieber tun würden, als ehrenamtlich Jugendliche zu trainieren. "Viel Glück", sagt der Richter beim Hinausgehen.

© SZ vom 23.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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