Prozess:Acht tote Babys

Lesezeit: 2 min

Eine Französin hat ihre Neugeborenen erdrosselt - von den Schwangerschaften will niemand gewusst haben.

Von Christian Wernicke, Paris

Es ist fünf Jahre her, da offenbarte Dominique Cottrez das Unfassbare: Diese Hausfrau, die ihre Nachbarn als liebevolle Mutter zweier Töchter und brave Ehefrau kannten und deren Heimatdorf Villers-au-Tertre ihr gerade einen Preis für all die Blumen am Eigenheim verliehen hatte - diese Frau hatte acht ihrer Kinder getötet. Acht Neugeborene, erdrosselt im Kindbett.

Eher zufällig hatte man 2010 zwei der acht Leichen entdeckt. Dominique Cottrez gestand damals sofort, breitwillig zeigte sie den Ermittlern sechs weitere in Plastiksäcke gesteckte Körper. Sie waren im Haus und in der Garage versteckt, im Winter habe sie die Bündel zugedeckt, sagte die Angeklagte, "damit es ihnen nicht kalt wird". Im Verhör räumte die heute 51-Jährige, sehr beleibte Frau zudem ein, sie habe zwischen 1989 und 2000 alle acht Babys heimlich daheim geboren - und sie dann wenige Minuten später ums Leben gebracht.

Dominique Cottrez reichte schließlich eine Erklärung nach, die allen - der eigenen Familie wie den Ermittlern, ihren psychologischen Gutachtern wie den Journalisten - ein wenig half, das Unfassbare zu begreifen: Ihr 2007 verstorbener Vater, so gab Cottrez zu Protokoll, habe sie regelmäßig sexuell missbraucht: Die Angst, ihre Kinder seien Folge eines Inzests, habe sie wieder und wieder zur Mörderin gemacht.

Doch Eric Vaillant, der Staatsanwalt im gegenwärtigen Strafprozess im nordfranzösischen Douai, hat im Prozess diese Woche scharf nachgefragt: "Wenn das stimmt, dann war Ihr Vater ein unglaublicher Dreckskerl", sagte der Ankläger, "oder haben Sie diese Geschichte vom Inzest erfunden?" Da ging Franck Berton dazwischen, der Verteidiger. Der Anwalt wollte Cottrez vor einem endlosen Verhör bewahren und ein für allemal klarstellen, in welch verzweifelter Lage sich seine Mandantin damals befand: "Schwören Sie beim Leben Ihrer beiden Mädchen, dass Ihr Vater Sie vergewaltigt hat?" - "Nein!" - "Ihr Vater hat Sie nicht vergewaltigt?" - Cottrez bestätigt einsilbig: "Nein".

Dann brach Dominique Cottrez in Tränen aus. Sie ahnte, dass dieses Geständnis die Strategie ihres Verteidigers ruinierte. Und sie spürte: Indem sie ihre jahrelange Lüge widerrief, beraubte sie all jene einer Erklärung, die trotz der grausamen Taten verzweifelt Verständnis aufgebracht hatten für das Leid dieser Frau.

Cottrez litt zeit ihres Lebens an ihrem Körper. Sie ist fettleibig, zeitweise wog sie 160 Kilogramm, bei 1,55 Meter Größe. Ihr massiger Körper half Dominique Cottrez, die acht Schwangerschaften zu verbergen, auch vor ihrem Ehemann.

Ein Gutachter beschrieb Cottrez nun als "extrem einsame Person", die ihre innere Leere mit ewigem Essen zu füllen versuchte. Dominique Cottrez sei eine fast wehrlose Frau, die es allen stets recht machen wollte - auch mit ihrer nun zerstörten Lüge. Der Staatsanwalt forderte am Mittwochabend eine Gefängnisstrafe von 18 Jahren.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: