Potsdam:"Dumm bin ich"

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Silvio S. nimmt im Mordprozess Gutachten und Plädoyer des Staatsanwalts regungslos zur Kenntnis.

Von Verena Mayer, Potsdam

Im Gerichtssaal steht eine Schaufensterpuppe, die aussieht wie ein Kind. Sie hat dieselben Sachen an wie der sechsjährige Elias, den Silvio S. vergangenen Sommer entführt hatte, Jeans und Kapuzenpulli. Und sie trägt eine schwarze Latexmaske, einen Knebel und eine medizinische Halskrause, alles Dinge, die der 33-jährige Angeklagte dem Jungen angelegt haben soll, nachdem er ihn von einem Spielplatz weggelockt und in sein Auto gesetzt hatte. Der Staatsanwalt hat die Puppe aufgebaut, um zu zeigen, wie Silvio S. das Kind gequält und erstickt haben soll. Doch vor allem steht die Puppe so im Raum, dass sie Silvio S. direkt ansieht. Als könne sie Silvio S. dazu bewegen, endlich sein Schweigen zu brechen.

Es ist einer der letzten Verhandlungstage im Potsdamer Mordprozess um die beiden Jungen, die Silvio S. sexuell missbraucht und getötet haben soll, erst Elias im Juli 2015 und dann im Oktober den vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohamed. Doch Silvio S. hält sich nur die Hände vors Gesicht. So, als seien die Dinge nicht vorhanden, die man nicht sehen kann. Die Geste hat fast etwas Kindliches.

Er wohnte noch bei seinen Eltern und sah ständig Pornofilme an

Der psychiatrische Sachverständige Matthias Lammel, der am Montag sein Gutachten vorträgt, beschreibt Silvio S. dann auch als "selbstunsicheren" Menschen, der nicht in der Erwachsenenwelt bestehen konnte. Mit Anfang 30 hatte Silvio S. noch keine Beziehung zu einer Frau gehabt, und er lebte noch immer bei seinen Eltern. Ausziehen wollte er nicht, er fürchtete, dann ganz alleine dazustehen, so Lammel. Freunde oder Bekannte hatte Silvio S. nicht, schon in der Grundschule war er der Außenseiter, der gemobbt und gehänselt wurde. Auf die Frage des Gutachters, wie er sich einschätze, sagte S.: "Dumm bin ich, mich macht gar nichts aus."

Die meiste Zeit saß er allein auf seinem Zimmer und sah sich Pornofilme an. Und er spielte mit Kindern. Sie wurden "zur einzigen Zielgruppe, die er aushalten konnte", sagt Lammel. Er diagnostizierte eine Persönlichkeitsstörung. Der Angeklagte sei aber schuldfähig, jedoch nicht pädophil veranlagt. Silvio S. habe sich im Lauf der Zeit so von allen moralischen Normen entfernt, dass er dachte, er könne die Kinder, denen er begegnet sei, "einfach mitnehmen". Der Staatsanwalt fordert in seinem Plädoyer, dass Silvio S. wegen Entziehung Minderjähriger, schweren sexuellen Missbrauchs und Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt wird. Auch beantragt er Sicherungsverwahrung. Man könne sich nicht vorstellen, wie sehr die Kinder gelitten haben, die "mit einem netten Onkel" mitgehen, der sich dann als "Bestie in Menschengestalt" entpuppe. Das sei "das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann". Die Familien der Kinder seien zerstört, die Mutter von Mohamed hat nach dem Tod ihres Kindes mehrere Fehlgeburten erlitten.

Silvio S. vergräbt den Kopf in seinen Händen. Auch dem Gutachter hat er nichts über seine Taten gesagt, nur, dass "ihn die Einsamkeit dazu getrieben" habe. Ein Mann, der zwei Kinder entführen und töten musste, um sich einmal im Leben erwachsen zu fühlen.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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