Nach Explosion in Tianjin:Wie Chinas Regime seine Krisen löst

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  • Die chinesische Regierung streut nach Katastrophen wie der Explosion in Tianjin gezielt falsche Informationen.
  • Es gibt Hinweise, dass Korruption zu dem Unglück in der Hafenstadt führte.
  • Hinterbliebene der Opfer werden bei Katastrophen unter Druck gesetzt und erhalten nur wenige Informationen.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Das Regime mag keine Unglückstoten. Die machen das Regieren in der Volksrepublik China zu einer hochsensiblen Angelegenheit. Die Explosion auf dem Hafengelände der nordchinesischen Stadt Tianjin hat die Kommunistische Partei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die Tragödie schadet ihrem Image. Wenn bei solchen Katastrophen viele Opfer zu beklagen sind, schimpft und flucht die Bevölkerung über Korruption und Profitgier im Land. Es staut sich eine Wut an, die sich zwangsläufig auch gegen die Genossen richtet, die so gern als fürsorgliche Landesväter auftreten.

So hat Peking sein Krisenmanagement professionalisiert

Doch Peking hat sein Krisenmanagement professionalisiert. Nachrichten werden bewusst gestreut und zurückgehalten, die Medien zum Diktat gerufen, die Angehörigen von Opfern unter Druck gesetzt. So geschah es nach dem Milchpulverskandal mit zahlreichen toten Babys oder nach dem Zugunglück in Wenzhou, auch nach dem Absturz von MH 370, nach der Massenpanik am Silvesterabend in Shanghai und erst kürzlich nach dem Schiffsunglück auf dem Jangtse. Immer das gleiche Muster. Beobachter glauben, dass es in Tianjin kaum anders zugehen wird.

Feuerwehrmänner am Ort des Unglücks (Foto: AP)

Es verdichten sich Hinweise, dass Korruption eine Rolle dabei spielte, dass eine Firma hochgiftige Chemikalien in dem Hafendepot lagerte, obwohl sie dem Vernehmen nach keine offizielle Genehmigung für diese Substanzen hatte. Eine entsprechende chinesische Internetseite, die das bestätigen könnte, ist von den Zensoren geblockt, aber es gibt Analysten, die diese Darstellung verbreiten.

Sollte sich tatsächlich ein tiefer Sumpf der Korruption auftun, so ist zu befürchten, dass die Öffentlichkeit niemals die Wahrheit über die Ursachen des Unglücks erfährt und auch nicht, wer alles von den Machenschaften wusste. Das ist ein makabres Spiel mit den Angehörigen, deren Gefühle hinter den Interessen der Staatsspitze anstehen müssen.

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Container, die wie Spielzeug durch die Luft gewirbelt werden. Hunderte zerstörte Autos. Fotos zeigen das Ausmaß der Explosion im chinesischen Tianjin.

Darum steht Chinas sozialer Frieden auf wackeligen Beinen

Das Schutzschild der Partei wird unmittelbar dann hochgezogen, wenn eine neuerliche Katastrophe das Land erschüttert. Peking ist getrieben von der Angst, dass sich die Wut ausbreiten könnte wie eine Grippe im Kindergarten. Denn was als Husten anfängt, könnte als Epidemie enden, an der das Regime zugrunde geht. Chinas sozialer Frieden steht auf wackeligen Beinen. Um kursierende Informationen im Zaum zu halten, werden Debatten im Internet streng überwacht. Es gilt nur noch die offizielle Lesart. Medien erhalten Anweisungen, sich bei der Berichterstattung eng an die Fakten zu halten, die von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua herausgegeben werden.

Die Angehörigen klagen in solchen Fällen stets darüber, dass man ihnen Informationen verwehrt und sie teils tagelang im Dunkeln lässt über den Fortgang von Rettungs- oder Bergungsarbeiten. Nach dem Jangtse-Unglück Anfang Juni, als ein Schiff mit 450 Passagieren kenterte, schlichen Dutzende Angehörige von Opfern durch die Wälder an den Ufern des Flusses entlang, weil sie versuchten, so nahe wie möglich an das Schiffswrack heranzukommen. Das Regime hatte sie in sicherer Entfernung zum Unglücksort zurückgewiesen und ihnen die Bitte um Einzelheiten verwehrt.

Informationen werden von den Ermittlern verschleiert, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von dem Vorfall abzulenken. Je länger sich Ermittlungen und Rettungsarbeiten in die Länge ziehen, desto mehr Menschen beschäftigen sich in der Zwischenzeit auch wieder mit anderen Dingen.

"Glaube immer das Gegenteil von dem, was die Partei sagt"

Jede offizielle Neuigkeit ist in Krisensituationen mit Vorsicht zu genießen, weil sie absichtlich falsch sein kann, um die Gemüter zu beruhigen. "Glaube immer das Gegenteil von dem, was die Partei sagt", scherzen die Chinesen gern. Das Misstrauen der Menschen gegenüber den Angaben der Behörden ist so groß, dass viele vermuten, die offiziellen Opferzahlen bei solchen Tragödien würden geschönt. Was der Staat verschleiern kann, verschleiert er, so die weitverbreitete Meinung unter den Bürgern.

Dazu werden Opferfamilien voneinander getrennt und jede Initiative für gemeinsame Aktionen langfristig bekämpft. Angehörige früherer Katastrophen, die sich öffentlich gegen diese Behandlung wehren, berichten von Prügeln, die sie von Beamten bezogen hätten. Erst wenn sie aufgeben, dafür zu kämpfen, was sie als gerecht empfinden, lassen die Drohungen und Gängelungen gegen sie nach. Je nach Ausdauer der Betroffenen halten diese Auseinandersetzungen manchmal jahrelang an.

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