Nach Einsturz des Stadtarchivs:"Köln ist kein Einzelfall"

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Statiker Heinrich Bökamp über die Ursachen des Einsturzes, vermeidbare Fehler beim U-Bahn-Bau und Gefahren auf deutschen Baustellen.

Anna Fischhaber

Heinrich Bökamp ist Vizepräsident der Ingenieurkammer Bau in Nordrhein-Westfalen und als Prüfingenieur zuständig für die Tragwerksplanung.

Chaos in der Kölner Südstadt: Am Dienstagnachmittag ist das Historische Archiv eingestürzt. Die Suche nach Verschütteten dauert an. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Am Dienstag ist das Stadtarchiv in Köln eingestürzt. Mitarbeiter haben im Vorfeld des Einsturzes immer wieder auf Risse im Keller des Gebäudes hingewiesen. Es gab sogar zwei statische Gutachten - das letzte im Dezember 2008. Dort heißt es, die Statik der Häuser sei "ausreichend standsicher". Wie kommt es zu so einer Fehleinschätzung?

Heinrich Bökamp: Die Politik sagt immer: So sparsam wie möglich. Wahrscheinlich werden sie auch bei diesem Gutachten gemacht haben, was nötig ist - aber eben auch nicht mehr. Alle Aspekte wurden wahrscheinlich nicht bedacht. Der Gutachter hat wohl die Risse im Gebäude angeschaut, die sich erst einmal nicht verändert haben. Die müssen von einem auf den anderen Tag schlimmer geworden sein. Den Zusammenhang mit der U-Bahn-Baustelle hat der Gutachter wahrscheinlich nicht erkannt.

sueddeutsche.de: Wie kam es überhaupt zu dem Einsturz?

Bökamp: Im Moment sieht viel danach aus, dass der Einsturz mit dem U-Bahn-Bau zusammenhängt. Wahrscheinlich ist etwas schiefgegangen - ein Bauteil muss zu schwach gewesen sein. In den Tunnel ist Grundwasser gelaufen und das hat sofort katastrophale Auswirkungen: Wenn ein größeres Loch plötzlich Wasser aufnimmt, dann gibt es an anderer Stelle einen Hohlraum. Vermutlich ist so ein Krater in der Nähe oder sogar unter dem Stadtarchiv entstanden. Das Gebäude drückt auf den Boden und die Bewegung dort sorgt dafür, dass der Boden die Spannung nicht mehr aushält.

sueddeutsche.de: Der Kölner Architekt Dennis Wahls kann sich nicht vorstellen, dass der Einsturz nur auf den U-Bahn-Bau zurückzuführen ist. Er vermutet Pfusch am Gebäude des Stadtarchivs, das aus den frühen siebziger Jahren stammt ...

Bökamp: Die Bausubstanz ist älter. Am Stadtarchiv ist viel umgebaut worden - das tut einem alten Bau nie gut. Ob man immer alles repariert hat, kann heute keiner mehr sagen. Hinzu kommt, dass das Stadtarchiv ein Mauerwerksbau ist. Der rappelt komplett in sich zusammen, kein Stein bleibt auf dem anderen - das ist wie in einem Erdbebengebiet. Wenn dort ein reines Stahlbetongebäude gestanden hätte, hätte es sich vielleicht nur ein wenig schief gestellt wie der Kölner Kirchturm vor ein paar Jahren. Wahrscheinlich war die Ursache eine Mischung aus Bausubstanz und U-Bahn-Bau.

sueddeutsche.de: Und wie ist das rechtlich? Wer haftet für den Einsturz?

Bökamp: Da müssen jetzt Sachverständige ran und Prozente verteilen. Wenn die U-Bahn-Baustelle der größte Verursacher ist, wird in erster Linie die Stadt haften. Und die wird natürlich schauen, ob die Firmen die beauftragt waren, Fehler gemacht haben. Das ist ein langer Prozess. Die Struktur des Gebäudes wird auch eine Rolle spielen. Und wenn man da Dinge findet, wo gepfuscht wurde, wird man auch hier Prozente verteilen. Die Baufirmen werden nach so langer Zeit aber schwierig zu belangen sein.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie als Statiker den Zusammenbruch erlebt?

Bökamp: Als Statiker bekommt man in so einem Moment erst einmal einen Schreck und hofft, dass möglichst wenig Menschen Schaden nehmen. Aber Sorgen mache ich mir an vielen Stellen, wo in der Nähe von alter Bausubstanz gearbeitet wird.

sueddeutsche.de: Das heißt der Fall Köln könnte sich wiederholen?

Bökamp: Köln ist kein Einzelfall. Es kommt vor, dass bei Baustellen etwas einstürzt und niemand sich erklären kann, wie das passieren konnte. Das liegt am Zeitdruck - beim Bauen gibt es keine Reserven, um mal eine Bedenkpause einzulegen. Meistens bleiben solche Baustelleneinstürze aber im Rahmen von Sachschäden, von denen die Öffentlichkeit gar nichts mitbekommt.

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