London:Leicht entflammbar

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Auch andere Londoner Hochhäuser gelten als brandgefährlich. (Foto: Jack Taylor/Getty Images)

Nach der Feuerkatastrophe mit 79 Toten evakuieren die Behörden vorsichtshalber fünf Hochhäuser. Ihre Fassaden gelten als unsicher. Inzwischen ist die Ursache für den Brand im Grenfell Tower bekannt: ein defekter Kühlschrank.

Von Christian Zaschke, London

- Vielen Bewohnern von Hochhäusern in Großbritannien dürfte in diesen Tagen ziemlich mulmig zumute sein. Nach dem verheerenden Feuer am Grenfell Tower im Westen Londons vor eineinhalb Wochen, bei dem nach letztem Stand 79 Menschen ums Leben kamen, steht die Frage im Raum: Wie viele Wohntürme auf der Insel sind gefährdet? Derzeit werden 100 Türme pro Tag untersucht. Für die Bewohner von fünf Hochhäusern im Bezirk Camden heißt es nun sogar: Sie müssen umziehen. Am Freitagabend teilte die Stadtverwaltung mit, fünf Hochhäuser mit insgesamt 800 Wohnungen würden evakuiert. Wegen Feuergefahr würden die Wohntürme "umgehend geräumt". Es bestünden Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Fassadenverkleidung, hieß es. "Grenfell ändert alles, und ich glaube nicht, dass wir ein Risiko eingehen sollten", erklärte Behördenvertreterin Georgia Gould. Die Wohnungen würden "sofort" geräumt, es könne "nicht garantiert werden, dass die Menschen sicher sind". Die Entscheidung sei nach einer Inspektion der Londoner Feuerwehr getroffen worden. Die Bewohner mussten ihre Apartments noch am Freitagabend verlassen und sollten unter anderem in Hotels untergebracht werden. Die Arbeiten an der Fassadenverkleidung der nun geräumten Gebäude sollen drei bis vier Wochen dauern. Londons Bürgermeister Sadiq Khan schrieb auf Facebook von einer "Vorsichtsmaßnahme" und bezeichnete die Räumung als den besten Weg, um die Bewohner zu schützen. Bei dem Brand im Grenfell Tower waren in der vergangenen Woche mindestens 79 Menschen ums Leben gekommen. Das Feuer in dem 24-stöckigen Sozialbau hatte sich rasend schnell über die Fassade ausgebreitet. Das Material der Außenverkleidung steht daher im Zentrum der Aufarbeitung der Katastrophe. Die Bewohner der fünf Hochhäuser auf dem Chalcot Estate im Nordwesten Londons erlebten zunächst, wie ein kleines Team von Arbeitern ein Stück der Außenverkleidung abmontierte, um es zu testen. Dann erfuhren sie: Es ist das gleiche Material, das am Grenfell Tower verwendet wurde. Danach berichteten die Bewohner, dass sie in ständiger Angst lebten. Manche zogen bereits vor der behördlichen Anordnung vorübergehend aus. Nach Angaben der Behörden wurden in den vergangenen Jahren rund 600 Wohntürme mit neuen Fassaden versehen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass einige davon brennbar seien.

Scotland Yard gab am Freitag bekannt, dass das Feuer im Grenfell Tower - wie von Anfang an vermutet - durch eine Kühl-Gefrierkombination der Marke Hotpoint verursacht wurde. Wer ein Modell namens Hotpoint FF 175 BP (oder BG) in weiß oder grau besitzt, wird gebeten, sich beim Hersteller zu melden. 64 000 dieser Kühlschränke sind zwischen 2006 und 2009 verkauft worden. Die Regierung hat angeordnet, dass umgehend getestet werden müsse, ob die noch im Umlauf befindlichen Geräte eine Gefahr darstellen.

250 Spezialisten hat die Polizei abgestellt, um den Ursachen der Katastrophe auf den Grund zu gehen. Erste Untersuchungen ergaben, dass sowohl die Verkleidung als auch die Wärmedämmung des Grenfell Tower bei allen Sicherheitstests durchfallen. Erst 2016 war eine umfangreiche Renovierung des Gebäudes abgeschlossen worden. Die Polizei interessiert sich nun für jedes der beteiligten Unternehmen. Eine Sprecherin sagte am Freitag: "Wir ermitteln wegen mehrerer möglicher Straftaten, darunter fahrlässige Tötung und Verstöße gegen die Brandschutz-Regularien." Der Turm sei mittlerweile gründlich durchsucht worden. Sämtliche, wie es hieß, "vollständigen Leichen" seien geborgen worden. Den Einsatzkräften biete sich eine "erschütternde Szenerie", sagte die Sprecherin.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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