Konstanz:Tränen vor dem Abspann

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Der Betreiber des umkämpften Filmpalastes Scala hat schon neue Pläne: Er will sein Programm künftig in einem Multiplex-Kino in der Shopping-Mall zeigen. (Foto: Picasa)

In Konstanz soll ein alteingesessener Filmpalast einem fünften dm-Drogeriemarkt weichen. Die Gegner erinnern in ihrer Beharrlichkeit und Lautstärke an die Kritiker von Stuttgart 21.

Von Christoph Dorner, Konstanz

Ein Paar mittleren Alters biegt an der Marktstätte scharf rechts ab, es hat seine Pläne für den Abend kurzfristig geändert. An der Kinokasse des Scala angekommen, lacht der Mann. Er ist wohl überrascht, wie viel Spontanität noch in ihm steckt. Seine Frau hakt sich bei ihm unter, ehe sie ins Dunkel des Saals treten. Dort sind die meisten der roten Kinosessel leer. Zwei Dutzend Menschen wollen an diesem Freitagabend den iranischen Dokumentarfilm "No Land's Song" sehen. Darin ringt eine Musikerin mit den Sittenwächtern in Teheran, weil sie ein Konzert nur mit Sängerinnen organisieren will. Das war über Jahrzehnte verboten. Es ist eine Geschichte über die Kraft von Kultur, über Auf- und Ablehnung. Am Ende aber, da dürfen die mutigen Frauen singen.

Der Film würde der Konstanzer Bürgerinitiative gefallen, die derzeit mit allen Mitteln versucht, den fast 80 Jahre alten Scala-Filmpalast zu retten, obwohl doch alles so aussichtslos erscheint. Die Verträge mit dem neuen Vermieter sind unterschrieben, die Stadt hat bereits ihre Zustimmung signalisiert. Wenn bis Mitte April nicht noch der Gemeinderat einschreitet, wird in das historische Gebäude zum Jahreswechsel eine Filiale der Drogeriemarktkette dm einziehen: Kosmetik statt Kino, Bibi-Duschschaum statt Woody Allen. Es wäre die fünfte Filiale von dm, Deutschlands beliebtestem Händler, in einem Umkreis von weniger als drei Kilometern. Der nächste dm ist nur 150 Meter entfernt, und noch näher, auf der Marktstätte direkt gegenüber, steht bereits ein dreistöckiger Drogerietempel des Konkurrenten Müller. Das Scala aber ist das letzte Programmkino der Stadt, mit ihm würde ein Treffpunkt für Filmfreunde aus der gesamten Bodenseeregion verschwinden.

Das will die Bürgerinitiative verhindern, also hat sie mehr als 6300 Unterschriften gesammelt und in der Innenstadt demonstriert. In ihrer Beharrlichkeit und Lautstärke erinnert sie an die Gegner von Stuttgart 21. Auch da ging es in den Augen der Kritiker um weit mehr als um die unterirdische Verlegung eines Bahnhofs. Im Konstanzer Kinostreit wird die Zukunft der Innenstädte mit ihren austauschbaren Konsumwelten verhandelt. So sieht es jedenfalls Christoph Nix, streitlustiger Intendant des Konstanzer Stadttheaters.

Ausgerechnet dm, sagt die Bürgerinitiative. Dabei gibt sich die Kette doch immer so sozial

Er hat den Bürgerprotest nicht allein an die Stadtspitze adressiert, sondern auch an den dm-Patriarchen Götz Werner, der in Konstanz in den 1960er-Jahren seine Drogistenlehre gemacht hat. Der bekennende Anthroposoph setzt sich seit Langem für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein, Geld ist für ihn bloß Saatgut für eine funktionierende Gemeinschaft mündiger Bürger. In einem seiner letzten Interviews sagte Werner: "Entscheiden heißt nicht vorwärts, vorwärts, vorwärts. Entscheiden heißt verzichten. Es gibt keinen einzigen Standort in Deutschland, den wir haben müssen."

In der Konstanzer Innenstadt aber herrscht Goldgräberstimmung, seit die Schweizerische Nationalbank den Mindestkurs für ihre Währung aufgehoben hat. Einen lebhaften Einkaufstourismus hat es am Bodensee immer schon gegeben. Früher fuhren die Deutschen zu den Nachbarn, um sich mit Kaffee und Schokolade einzudecken, die Schweizer kamen über den See, um Dinge des täglichen Bedarfs einzukaufen. Seit der Aufwertung des Franken wird Konstanz von den Nachbarn überrannt, klagen Einheimische, die nichts von der boomenden Bodensee-Ökonomie haben, außer dem allsamstaglichen Verkehrschaos. Sogar aus Zürich kommen dann Schweizer angefahren und erledigen ihre kompletten Einkäufe in der Stadt.

Dass der Kino-Standort an der attraktiven Marktstätte für dm deshalb interessant ist, gibt Christian Harms gerne zu. "Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich in Fußgängerzonen in größeren Städten zwei oder auch drei dm-Märkte befinden, wenn die Nachfrage der Kunden dies erforderlich macht", sagt der dm-Geschäftsführer für die Märkte in Baden-Württemberg. Götz Werner hat sich in der Angelegenheit bislang nicht geäußert. Er sei verreist, sagt ein Sprecher. Harms betont, dass der Standort dem Drogeriekonzern zur Miete angeboten worden sei. Zuvor hatte sich der neue Generalpächter der sanierungsbedürftigen Immobilie, eine Freiburger Baugesellschaft, mit dem Betreiber des Scala, Hans-Detlef Rabe, auf ein vorzeitiges Ende des laufenden Mietverhältnisses geeinigt.

Rabe ist wohl so etwas wie der Doppelagent im Konstanzer Kinostreit. Bei ersten Informationsveranstaltungen hatte er noch betont, das keineswegs defizitäre Programmkino weiterführen zu wollen. Mittlerweile ist er für die Bürgerinitiative nicht mehr zu sprechen. Auch auf Anfragen der SZ reagierte er nicht. Das Arthouse-Programm aus dem Scala soll ab kommendem Jahr im Cinestar im größten Shoppingcenter am Platz laufen, dort ist Rabe geschäftsführender Gesellschafter.

Ist der Gang dorthin den Kinofreunden vom Bodensee nicht zuzumuten? Douglas Wolfsperger schnaubt einmal kurz ins Telefon und sagt dann ein paar nicht so nette Sätze über Multiplex-Kinos und Popcorn. Als der Filmemacher, der in Konstanz aufwuchs und in Berlin lebt, vom Aus des Scala hörte, begann er, eine Dokumentation über die Besucher des Kinos zu drehen - mit zugesagter Unterstützung des Kulturbüros der Stadt. Von Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) ist Wolfsperger trotzdem enttäuscht. Der sieht keine rechtliche Handhabe gegen die Baugenehmigung für dm, richtet ein Sprecher aus.

Die Bürgerinitiative dagegen kann ein Gutachten einer renommierten Berliner Kanzlei vorlegen, wonach es durchaus möglich wäre, Veränderungen am Gebäude zu verbieten. Dann bräuchte es nur noch einen Betreiber für das Scala. Christoph Nix, der Theatermann, hofft immer noch auf Götz Werner, dem er eine Art Gemischtwarenladen vorgeschlagen hat, in dem Kino und Kosmetik Platz finden. Aber über allen Bemühungen liegt bereits eine Prise Wehmut. "Im Kino konnte ich wenigstens weinen", sagt Nix.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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