Italien:Richtig verwählt - römischer Rentner rettet Flüchtlinge

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Mit einem Satellitentelefon erreichten die Flüchtlinge den Römer. (Foto: REUTERS)
  • Bei einem Rentner klingelt morgens früh mehrmals das Telefon. Er nimmt ab, versteht den Anrufer aber nicht.
  • Er fühlt sich belästigt und alarmiert die Polizei. Die Beamten sprechen dann mit einem Mann, der in einem Flüchtlingsboot sitzt. Er und die anderen Flüchtlinge sind in Seenot geraten.

Von Oliver Meiler, Rom

Er konnte nicht gemeint sein, sagte sich ein römischer Rentner, als die Anruferei begann. Und doch insistierte der Anrufer. Zu einer Unzeit zudem, kurz vor sechs Uhr früh, am Dienstagmorgen. Da redete ein Mann in dramatischem Tonfall auf ihn ein, mit einem Gemisch aus zwei Sprachen, Englisch und Französisch, die der Rentner selber nicht spricht. Deshalb hängte er auf, genervt, bis ihm die Belästigung zu viel wurde. Er rief die Polizei an, Posten San Paolo.

Zwei Beamte kamen und vergewisserten sich, dass da tatsächlich beharrlich gestört wurde. Dann gingen sie ran. Am anderen Ende war nicht nur die Stimme eines aufgeregten Mannes zu hören, sondern auch der Lärm von Motoren, von Wind und Wellen, von Stimmen von Frauen und Kindern. Der Mann aus der Ferne sagte, er stamme aus dem Sudan, sitze in einem vollen Flüchtlingsboot in Seenot, zwischen Libyen und Sizilien. Und rund um ihn herum sehe er weitere Boote, fünf, sechs.

Die Beamten telefonierten mit dem Zentralkommando der Küstenwache in Rom, die der Sudanese wahrscheinlich eigentlich anwählen wollte, ebenfalls eine Nummer mit der Vorwahl 06. Und dort machte man schnell die Koordinaten des Satellitentelefons aus: ein Punkt im Meer, in der Straße von Sizilien. Hilfsboote legten ab und fanden die Schiffe, 600 Flüchtlinge insgesamt. Alle wurden gerettet. Hätte sich der Rentner nicht belästigt gefühlt, wäre das Verwählen vielleicht fatal gewesen.

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1600 Menschen in Seenot befreit

Neu ist die Methode nicht. Normalerweise besitzen die Schlepper Satellitentelefone, die sie jeweils, kaum haben sie die Schiffe in internationale Gewässer gebracht, einem Flüchtling in die Hand drücken, damit der bei der Küstenwache um Hilfe ruft. Oft werden dafür Frauen ausgewählt, weil die Schleuser annehmen, dass eine Frauenstimme die Hilfsoperationen noch beschleunigt. Diesmal also war es eine Männerstimme.

Allein am Dienstag haben die Italiener 1600 Menschen gerettet, die auf der "zentralen Mittelmeerroute" unterwegs waren, also zwischen Nordafrika und Lampedusa, Sizilien, Kalabrien. Wieder waren es vor allem Menschen aus Nigeria, Gambia, Senegal, Eritrea, Somalia, Sudan, Ägypten. In den ersten drei Monaten des Jahres sind schon mehr als 18 000 Migranten nach Italien gelangt, etwa 8000 mehr als in den beiden Vorjahren, die als Rekordjahre gelten.

Syrer dagegen sind bisher kaum dabei - auch seit der Schließung der Balkanroute nicht. Darum könne man auch nicht von einer "alternativen Route" für die Syrer reden, sagt Carlotta Sami, Sprecherin für Südeuropa beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Noch nicht. Die Sorge aber ist, dass die "Central Mediterranean Route" sehr bald und massiv an Bedeutung gewinnt.

Die italienische Regierung schätzt, dass 2016 die Zahl der Ankömmlinge auf 270 000 steigen könnte. Das wären fast doppelt so viele wie 2015. Die Kapazität der italienischen Auffanglager, etwa 110 000 Plätze, ist erschöpft. Nun bereitet man sich darauf vor, im Notfall Kasernen umzufunktionieren und Zeltlager zu errichten.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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