Istanbul:Der nette Bruder

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Im Gerichtsgebäude im Stadtteil Kartal in Istanbul stehen zwei Brüder der Ermordeten vor Gericht. (Foto: Linda Say/dpa)

Im Prozess um den Mord an Hatun Sürücü spricht die Frau eines Angeklagten. Ihr Mann habe die Tat verurteilt.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Dieses Mal trennt eine Reihe Polizisten die Angeklagten Alpaslan und Mutlu Sürücü von den Prozessbeobachtern im Saal des 10. Gerichts für schwere Straftaten in Istanbul. Der Angeklagte Mutlu hatte im Januar an dieser Stelle einen Wutausbruch gehabt, den man so schnell nicht vergessen wird. "Elende Hunde!", schrie er in den Saal, in dem viele deutsche Journalisten saßen. Dieses Mal schaut er sich nicht einmal um. Und wenn er das tun würde, er würde erst mal nur die Gesichter von Polizisten sehen.

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen, aber auch vergleichsweise ruhig wurde am Donnerstag der Prozess gegen die zwei Brüder der ermordeten Deutsch-Türkin Hatun Sürücü fortgesetzt. Den Männern, 35 und 36 Jahre alt, wird vorgeworfen, ihren jüngeren Bruder Ayhan angestiftet und unterstützt zu haben, die Schwester Hatun zu ermorden. Das war im Jahr 2005. Ein sogenannter Ehrenmord, mitten in Berlin. Ayhan, damals erst 17, verachtete, wie selbstbestimmt seine Schwester in Berlin lebte. Er nahm die alleinige Schuld an ihrem Tod auf sich. Während er verurteilt wurde, kamen Mutlu und Alpaslan Sürücü aus Mangel an Beweisen frei. Als 2007 der Bundesgerichtshof die Freisprüche aufhob, hatten sich die Männer längst in die Türkei abgesetzt.

Nun stehen sie in Istanbul vor Gericht. An diesem Tag haben eine Angehörige und ein Arbeitskollege das Wort. Alpaslans Ehefrau spricht jetzt. Die 29-jährige Frau hat Alpaslan nach dem Verbrechen kennengelernt, im Jahr 2006. "Er hat mir alles erzählt, was er erlebt hat", sagt sie dem Gericht. "Wenn ich glauben würde, dass mein Mann so etwas getan hat, dann hätte ich ihn nicht geheiratet." Alpaslan ein Mittäter? Sie kann sich das nicht vorstellen. Er sei richtig wütend auf seinen Bruder gewesen. Ihr habe er gesagt, er könne Ayhan "niemals verzeihen". Sie habe auch nie gehört, dass Alpaslan seinen kleinen Bruder angestiftet habe. Die Frau sagt, sie sei eine moderne Frau. Sie trägt kein Kopftuch. Sie habe in Alpaslans Familie deshalb nie Probleme bekommen.

Auch Levent A., der Chef von Alpaslan Sürücü, spricht nur in guten Worten über den Angeklagten. Vor acht Jahren hat er ihn eingestellt. "Wir mögen ihn sehr. Er geht respektvoll mit den Menschen um." Beim Einstellungsgespräch sei der Mord in der Familie Thema gewesen. Auch er sagt, dass Alpaslan wütend auf seinen jüngeren Bruder gewesen sein soll. Er hält Alpaslan Sürücü für einen traurigen Menschen, der ein "reines Herz" habe. Viele Nachfragen hat der Richter an diese Zeugen nicht. Das dürfte sich bald ändern, denn das Gericht will als nächstes Melek hören, die frühere Freundin des Schützen. Ayhan habe ihr nach dem Mord erzählt, dass die Brüder die Tatwaffe beschafft und Schmiere gestanden hätten. Sie lebt im Zeugenschutzprogramm. Es wird schwierig, an die Frau heranzukommen. Das weiß auch das Gericht. Erst im Oktober wird der Prozess fortgesetzt.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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