Hamburg:Tritt vors Schienbein

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Beim FC Teutonia 05 in Ottensen spielen 22 Nationen zusammen Fußball, Alt und Jung, Arm und Reich. Zahllose Helfer engagieren sich für den Klub, aber ein Nachbar meckert: Wie eine einzige Beschwerde einen Verein zu zerstören droht.

Von Thomas Hahn

Der Platz an der Kreuzkirche in Hamburg-Ottensen ist voll mit Bällen und Kindern. Auf dem Kunstrasen des Fußballklubs FC Teutonia 05 trainieren mehrere Jugendmannschaften gleichzeitig. Es herrscht ein geordnetes Durcheinander. Die Nachwuchskicker sind ins Spiel vertieft, sie strahlen eine arglose Freude aus, aber auch die Ernsthaftigkeit, welche die Trainer von ihnen verlangen. Hier, in Ottensen, scheint jetzt nichts den Frieden der Fußballnation zu stören. Aber dann fällt der Blick auf ein Papier, das an einer Kabinentür klebt. "Lärmschutz-Demo Teutonia 05" steht darauf und der Aufruf zum Protest an diesem Freitag zwischen fünf Uhr und halb acht, Treffpunkt am Vereinsheim. Motto: "UNER-HÖRT. Kaum Fußball auf dem Fußballplatz."

Kann das wahr sein, dass das liebste Spiel der Deutschen in seinem eigenen Biotop, dem Fußballplatz, bedroht ist?

Mehr als 100 Jahre spielen sie schon hier. Und plötzlich machen sie angeblich zu viel Krach

Lärmschutz ist wichtig. Gute Nachbarschaft hängt nun mal davon ab, dass man sich gegenseitig nicht ständig auf die Nerven fällt. Auch Fußballvereine müssen Rücksicht auf ihre Nachbarn nehmen und sie nicht ständig den Geräuschen ihres Trainings- und Spielbetriebs aussetzen. Viele Klubs im Land hatten schon Probleme, weil Anwohner sich über die Lautstärke beschwerten, mussten Lärmschutzwände errichten oder zeitweise umziehen. Insofern ist es nichts Besonderes, dass nun auch der FC Teutonia 05 Post vom Bezirksamt Altona bekam: Wegen einer Beschwerde müsse der Klub mit seinen 38 Mannschaften den Betrieb einschränken.

Der Fall zeigt beispielhaft, wie die Geräuschempfindlichkeit einzelner Anwohner ganze Vereine in Unruhe versetzen und damit deren Dienst an der Gesellschaft unterwandern kann. Denn dass es sich bei einem Fußballverein um eine Freizeitinstitution ohne tieferen Sinn handelt, können im Grunde nur Menschen glauben, die selbst nie Sport im Verein erlebt haben. "Der Fußballplatz ist der letzte Ort, wo alle Milieus zusammenkommen", sagt Diddo Ramm, der ehrenamtliche Vorsitzende des FC Teutonia 05, "wir machen Integration von In- und Ausländern, Alt und Jung, Arm und Reich." Fußball ist billig und funktioniert nur im Team. Bei Teutonia versuchen Menschen aus 22 Nationen, zusammen Spiele zu gewinnen. Das soll zur Debatte stehen, weil Fußball zu laut sei? Ramm schimpft: "Das Individualrecht einer einzelnen Person steht über dem Individualrecht von über 600 Teutonia-Mitgliedern."

Was ist passiert? Der FC Teutonia 05 nutzt seit 1910 ungestört den städtischen Fußballplatz bei der Kreuzkirche. Gespielt wurde dabei lange auf rotem Sand, der zwar pflegeleicht, aber nicht gesundheitsschonend für Fußballer ist. Sieben Jahre kämpfte der Verein für einen Umbau, und tatsächlich bekam das Feld im Spätherbst letzten Jahres einen strahlenden Kunstrasen. Am 17. Januar wurde der neue Platz feierlich eröffnet. Niemand bei Teutonia ahnte etwas Schlechtes. Aber irgendjemand aus der Nachbarschaft nahm den Neubau offenbar zum Anlass, sich über den Fußballlärm auf dem Platz zu beschweren und mit einer Klage zu drohen. Martin Roehl, der Pressesprecher des Bezirksamts Altona, teilt dazu trocken mit: "Da es eine Beschwerde gab, musste das Bezirksamt tätig werden." Das Amt entschied dann - Achtung, Behördendeutsch - gemäß der Sportanlagenlärmschutz-Verordnung, wie sie als 18. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes hinterlegt ist.

Für Teutonia bedeutet das: Training ist an Werktagen auf dem Heimplatz nicht mehr bis 21.30 Uhr erlaubt, sondern nur noch bis 21.00 Uhr. Samstags dürfen die Teams den Platz nur noch 300 Minuten nutzen, sonntags gar nur 180, einschließlich Aufwärmen und Umkleiden. Vor der jüngsten Ansage konnte Teutonia alle seine Mannschaften an der Kreuzkirche spielen lassen, jetzt fehlt dazu die Zeit. Manche Teams müssen ausweichen vom feinen, neuen Kunstrasen auf eine zwei Kilometer entfernte Sportanlage in Nord-Altona. Dort spielen sie wieder auf rotem Sand.

"Was wir hinter uns gelassen haben, ist jetzt wieder da", sagt Diddo Ramm. Für das Klima im Klub ist das gar nicht gut. "Wir haben mittlerweile viel Streit." Ramm selbst sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, er hätte sich stärker wehren sollen. Trainer sind sauer, weil ihre Teams nicht mehr auf den Kunstrasen dürfen. Eltern sorgen sich um ihre Kinder. Spieler finden den anderen Platz nicht. Andere kommen gar nicht, weil sie nicht auf Grand spielen wollen. Und manche Vereinsmitglieder verlieren durch das Hickhack die Lust an ihrem Engagement. "Das Ehrenamt leidet mehr, als ich es gedacht hätte", sagt Ramm. Er hat selbst schon überlegt, ob er hinschmeißen soll.

Das Bezirksamt zieht die Sache durch. Dabei liegt der Platz an einer vierspurigen Straße

Vereine und ehrenamtliche Arbeit sind das Rückgrat der Gesellschaft in Deutschland. Aber anscheinend möchte die Gesellschaft manchmal das eigene Rückgrat ansägen. Das Recht ist gegen Teutonia und für die Person, die sich beschwert hat. Dass die Ecke an der Kreuzkirche ohnehin nicht ruhig ist, spielt dabei offensichtlich keine Rolle; das Teutonia-Feld liegt am vierspurigen Hohenzollernring. Angeblich soll die Beschwerde nicht einmal aus den Mietshäusern direkt am Platz kommen, sondern aus einem der eleganten weißen Bauten jenseits des Rings. Ein Gespräch mit der Person, die sich beschwerte, wäre gut gewesen, findet Ramm, aber das gab es nicht. Teutonia stand binnen einer Woche vor vollendeten Tatsachen. Ramm hatte den Eindruck, dass sich keiner um die Belange des Vereins scherte: "Das Ordnungsamt zieht das eiskalt durch." Bezirksamtssprecher Roehl bestätigt das indirekt: "Das Bezirksamt Altona erfüllt seine Aufgaben ohne Ansehung der Person."

Und nun? Lärmtechnische Messungen laufen, die feststellen sollen, ob Teutonia vielleicht doch leise genug ist fürs ausgedehnte Kicken auf dem neuen Kunstrasen. Das ist eine Hoffnung für den Verein. Außerdem liegt eine Beschwerde bei Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Und an diesem Freitag, da ist eben die Demonstration. Diddo Ramm findet das gut: "Wir kriegen wieder Demokratie in den Verein", sagt er, "die Jugendlichen gehen auf die Straße." Die Not muss wirklich groß sein beim FC Teutonia 05.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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